[otw_shortcode_info_box border_style=“bordered“ background_color_class=“otw-silver“]Im Retro-Format „Veteranenhalle“ wedeln wir schwungvoll den Staub von altgedienten Spielstationen und diskettenhungrigen Rechenschiebern. Ob C64, SNES, 486er oder PS2 – sie alle haben im vollgestopften Redaktionskeller Spot-beleuchtete Ehrenplätze. Hier befinden sich auch die 35 Jahre alten Türen unseres Software-Archivs, deren tiefes Knarzen Antworten auf nahezu alle essentiellen Gamer-Fragen verheißt. Wer hat eigentlich das Basebuilding erfunden? Welches Spiel hat den Psychological Horror pioniert? Waren FMV-Spiele nicht grundsätzlich (der) Horror? In unregelmäßigen Abständen erlebt ihr hier die spannende und mitunter auch recht witzige Geschichte des Survival- und Horror-Gamings.[/otw_shortcode_info_box]
Survival und Rollenspiel sind zwei grundverschiedene Genres, richtig? Falsch, setzen, Sechs. Korrekt ist, dass diese beiden Spielgattungen traditionell eng miteinander verbunden sind; sogar so eng, dass wir von einer Adam-und-Eva-Beziehung sprechen müssen. Die Rolle des Adam übernähme hier Richard Garriotts Ultima, während Bohemia Interactives DayZ die Rolle der blutigen Rippe zufiele – Amen. Denn Ultima experimentierte schon vor über 36 Jahren mit Survival-Elementen, als Twix noch Raider hieß und Vision Clearance Engineer schlicht „Fensterputzer“.
Aber wir wollen hier nicht etwa die Evolution der Schokoriegel thematisieren, sondern einen Späterben der Ultima-Reihe, der die Grenzen zwischen Survival und (Dungeon-)RPG fast vollständig auflöste: Arx Fatalis aus dem Hause Arkane Studios. Die meisten von euch dürften letzteren Namen vor allem mit Bioshock 2 und Dishonored in Verbindung bringen, doch die arkanen Franzosen beherrschten ihr Handwerk erwiesenermaßen schon zu Früh-Twix-Zeiten. Zum 15. Geburtstag von Arx Fatalis nun ein Rückblick auf das Spiel, das einfach nicht Ultima Underworld III heißen durfte.
Sachen gibts: Ein Survival-Dungeon-Crawler
Ganz recht: Ursprünglich planten Arkane Studios, die von Spielern und Presse hochgelobte Serie Ultima Underworld fortzusetzen, was seinerzeit durchaus als … nun ja – „etwas größeres Vorhaben“ angesehen werden durfte. Welcher Software-Zweiteiler kann schon von sich behaupten, sowohl mit dem ersten als auch mit dem zweiten Teil Journalistenjubel von bis zu 94% eingefahren zu haben? Richtig, System Shock. Allerdings konnte dieses Überding von einem Cyberpunk-RPG nicht für sich beanspruchen, das erste komplett in 3D dargestellte Rollenspiel zu sein – das war nämlich, welch Überraschung, Ultima Underworld (The Stygian Abyss).
Ob diese Tatsache die Nasen der Rechtehalter Looking Glass Studios vielleicht in etwas zu luftige Höhen beförderte, um Arkanes Enkelschaftsantrag anzunehmen, bleibt ein Geheimnis; die Innovationskontrolle dürfte Arx Fatalis jedenfalls mit Bravour bestanden haben. Es gab und gibt nämlich kein anderes Spiel, das die Elemente des Survival derart eng mit dem Gameplay eines relativ klassischen Dungeon Crawlers verbindet, wenn auch ohne Gitterbewegungen. Und so tun wir in der unterirdischen Welt von Arx fast alles, was gestandene Suvivalisten in der Regel eben so tun: Wir verhungern (hoffentlich nicht), gehen angeln („Andere gehen zur Therapie“), craften Waffen, und kippen uns gelegentlich auch mal einen hinter die Binde. Cheers!
Gitterbewegungen in einem modernen Dungeon Crawler: Might & Magic X: Legacy.Arx Fatalis – Eine Welt ohne Sonne
Bevor wir uns jedoch männertypischen Problemen wie z.B. dem Zubereiten von Nahrung gegenübersehen, konfrontiert uns das Intro des Spiels mit einem besonders schlechten Scherz: In „Exosta“ – der Welt, in welcher Arx liegt – geht die Sonne nicht mehr auf. Genau, nachdem sie gestern noch fröhlich durch den Mittag geschienen hatte, verschwand sie abends einfach hinter den sieben Bergen und ward nie mehr gesehen … Jedenfalls so ungefähr. Tatsächlich sind seither viele hundert Jahre vergangen, und die Bewohner von Exosta leben längst nicht mehr überirdisch.
Ihre neue Heimat ist eine gigantische Fantasy-Unterwelt namens Arx Fatalis, die sicher auch im Zugzwang exorbitanter Lösegeldforderungen für die Freilassung der Sonne errichtet werden musste – und die trotz ihrer nur schummerigen Beleuchtung lange Zeit ein Ort des Friedens war. Hier koexistierten einst Menschen, Goblins, Trolle, Liche und viele andere Rassen in fast gruseliger Harmonie, bis eines Tages jeder Ziegelstein verbaut und jede Fahne gehisst war, sprich, bis keiner mehr die Hilfe des anderen benötigte. Alte Konflikte konnten wieder aufflammen, ursprüngliche Grenzen wieder gezogen und unsympathische Schädel wieder gespalten werden – Exosta wurde wieder ganz zu dem, was es früher einmal war.
Böses Erwachen in Goblin-Guantanamo
Und wie könnte es anders sein, werfen uns die Entwickler natürlich in genau dieses vom Rassismus geprägte Arx, dessen stinkender Goblin-Knast uns freudig in Empfang nimmt – herzlichen Dank. Als Mensch und namenloser Zwangsabenteurer (falls ihr jemanden mit diesen Eckdaten schon einmal gespielt haben solltet) haben wir eben keinen allzu guten Stand bei den buckeligen, kleinen Stinkstiefeln, die uns immerhin ein „Schlupfloch“ in der Zellentür gelassen haben. Diese unsere Chance erkennend, leihen wir uns schnell den Oberschenkelknochen eines skelettierten Mithäftlings und beginnen ein etwas umfassenderes Studium der steinzeitlichen Knochenmusik; natürlich unter Zuhilfenahme mal kleinerer, mal größerer Goblin-Schädel.
Sobald uns die Studienobjekte ausgegangen sind, sind wir wieder ein freier, aber unglücklicher Mann. Die relativen Weiten Arx Fatalis‘ vor Augen realisieren wir nämlich, dass wir drei Probleme haben: kein Gold, keine Freunde und – wieder einmal – kein Gedächtnis. Wie und weshalb wir also im Goblin-Gefängnis strandeten, ist uns nicht bekannt. Genauso wenig wissen wir um unsere Rolle im Konflikt der Rassen, sodass uns nur bleibt, das mittelalterliche „Land“ zu erkunden und der Dinge zu harren, die da kommen mögen.
Moderne Features schon anno 2002
Und es kommt so einiges, denn Arkane Studios hatten sogar Ubisofts Far Cry 3 ein wenig vorgegriffen, indem sie die Spielwelt mit einigen technisch ausgereiften Nebenbeschäftigungen ausstatteten. Selbst das 10 Jahre jüngere Kingdoms of Amalur: Reckoning muss sich vor den Arxschen Glücksspieltischen, die meist in städtischen Tavernen herumstehen, tief und beschämt verneigen. Sie funktionieren nämlich nicht nur sehr gut, sie unterstützen sogar – genau wie übrigens das gesamte Inventar-System – Drag and Drop. Da verwundert es dann auch nur noch bedingt, dass Arx Fatalis‘ Runenzauber-Mechanik ebenfalls recht innovativ ausfällt: alle Sprüche müssen vor dem Wirken zunächst in Form einer speziellen Runenkombination „in die Luft gemalt“ werden.
Dennoch, und dies ist seinem Alter letztlich dann doch geschuldet, geht es in Arx Fatalis zuweilen auch recht klassisch zu. So treffen wir während unserer Erkundung von Höhlen, Minen, Dungeons und Städten meist auf sehr RPG-typische Gegner, zu denen natürlich auch „kleine“, schmutzige Nager zählen. Nager, die ausnahmsweise einmal nicht im Rahmen der obligatorischen Ratten-Quest entsorgt werden, was für den normalen Rollenspielerverstand kaum zu erfassen sein dürfte („Gehen die denn auch anders tot?“). Spätestens der verhältnismäßig geringe Anteil an storyarmen Ho(h)l-und-Bring-Quests dürfte den hoffnungslos überforderten Wohn- oder Kinderzimmer-Abenteurer dann endgültig in Ohnmacht fallen lassen.
Noch moderner: Arx Libertatis
Wer unter Verwendung von etwas Riechsalz aber in die Welt der Lebenden zurückgeholt werden kann, wird sich vielleicht für den frei erhältlichen Cross-Platform-Port Arx Libertatis interessieren. Mit diesem Projekt beabsichtigt Initiator Daniel Scharrer, Arx Fatalis auf ein moderneres Level zu bringen, was ihm in Teilen bereits gelungen ist. Bugfixes und Full-HD-Darstellung verstehen sich dabei fast von selbst; die meisten Änderungen liegen im Bereich des klar erhöhten Spielkomforts. Langfristig strebt Daniel an, u.a. der Game-Engine Feuer unter dem Hintern zu machen, worauf wir – trotz der aktuell hinreichenden Performance und Funktionalität – sehr gespannt sind.
Zum Spielen von Arx Libertatis benötigt ihr selbstverständlich eine Originalversion von Arx Fatalis, die ihr problemlos über GOG oder auch Steam beziehen könnt. Der durchschnittliche Preis von ca. 5 Euro dürfte eigentlich kaum einer Geldbörse wehtun.
Veteranenhalle – die Urspünge des Survival
- Die Geburtsstunden des Survival-Horrors
- ArkZ Ahnen
- Als Survival unterirdisch war
- Alice: Das einzige Spiel des American McGee