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H.P. Lovecraft, Cthulhu-Mythos und so weiter: genau in dieser eher anspruchsvollen Ecke der Horror-Literatur sieht sich die Story des neuen 1st-Person-Adventures Conarium angesiedelt. Gut, wozu mit Horror-Winzlingen wie Stephen King oder John Carpenter messen, wenn man seine geschwollene Hühnerbrust („Du, ich kann das“) auch gleich dem toten Lovecraft ins Gesicht drücken kann. Vielleicht beziehen die Entwickler von Zoetrope Interactive ihren Mut ja aus dem relativen Erfolg ihres Erstlings Darkness Within? Zugegeben: Wir hätten schon weitaus schlechtere Vorzeichen gesehen.
Allein im ewigen Eis
Wer bei „Berge des Wahnsinns“ als erstes an die Aktenberge in deutschen Ämtern denkt, denkt grundsätzlich nicht verkehrt. Allerdings gibt es auch eine gebundene Horrorgeschichte diesen Namens, die vor 86 Jahren von H.P. Lovecraft zu Papier gebracht wurde – und nun Zoetropes Conarium zugrunde liegt. Anstatt sich jedoch gänzlich auf der abstrakten Denke des Altmeisters auszuruhen, erzählen die türkischen Indie-Entwickler eine eigene Geschichte im arktischen Lovecraft-Miniversum, wo der Verstand des Conarionauten Frank Gilman auf eine harte Probe gestellt wird.
Genau wie der unsere, wenn wir zu Beginn des Spiels – im Rahmen einer albtraumhaft verzerrten In-Game-Szene – zum xten Mal die Horroreinstellung F-24-a über uns ergehen lassen müssen: Ein Mann steht mit dem Rücken zu uns, wir gehen auf seinen Rücken zu, greifen mit unserer rechten Hand auf seine linke Schulter, der Begrapschte dreht sich langsam um, und (Trommelwirbeltrommelwirbel) Buh! Hallo, du fleddergesichtige Wissenschaftler-Mumie, die du so grausam ausschaust, dass es uns augenblicklich in die Realität zurückschockt. Jaja, wir haben schon verstanden, es war alles nur ein schrecklicher Traum … Oder?
Was auch immer es war: In der Rolle von Frank erlangen wir unser Bewusstsein in einem merkwürdigen Sitzungszimmer einer Forschungsstation wieder, irgendwo in den Weiten des antarktischen Eises. Die letzte starke Morgenmigräne zum Kindergeburtstag erklärend, hämmert unser Kopf derart heftig, dass wir eine zeitnahe Detonation unserer Schädeldecke nicht ausschließen können. Nur verschwommen sehen wir im Raum einige Komfort-Liegestühle sowie eine sonderbare Apparatur, die sich am besten als Kleinausgabe des Event-Horizon-Kerns mit integrierter Lasershow beschreiben ließe – und die in irgendeiner Verbindung zu unseren Kopfschmerzen zu stehen scheint.
Irritiert verlassen wir den Sitzungsraum und betreten die dunklen Korridore der Einrichtung, wo ein Stromausfall die größtenteils elektrisch verriegelten Türen unpassierbar macht. Ein nicht ganz unwesentliches Problem, das sich leider nur über einen Schneesturmspaziergang bei 40 Grad Minus und einen (metaphorischen) Tritt gegen den Stromgenerator im Nebengebäude lösen lässt. Kann so ein Tag ein gutes Ende nehmen? Immerhin begegnen wir während unseres Null-Sicht-Snow-Walkings keinem einzigen Ding aus einer anderen Welt, dafür aber auch keinem einzigen aus dieser. Nach unserer Rückkehr zum Hauptgebäude und etwa fünf Minuten emsigem Türen Öffnen sind wir uns sicher: Es ist niemand zuhause, wir sind mutterseelenallein.
Paranormale Aktivität versus Zeitriss
Ohne lange zu fackeln, beginnen wir mit einer Spurensuche, die neben zig religiös anmutenden Statuen noch weit Beunruhigenderes zutage fördern wird. Kaum sind uns erwähnte Götzen nämlich aus einem Bekleidungsspind entgegengepoltert, wartet um die Ecke schon eine schattenhafte Geisterscheinung, vor der wir zunächst einigermaßen erschrecken könnten. Doch es passiert uns nichts, wie uns auch künftig bei der Sichtung dieser teils sabbelfreudigen Vielleicht-Geister nichts passieren wird. Sie scheinen uns vielmehr zu leiten, mehr oder weniger gewollt; an Orte oder in Zimmer, die jeweils ein wenig über die Vergangenheit der Station – und somit auch über uns selbst – verraten.
Denn nein, wir scheinen nicht mehr sonderlich viel über unsere jüngere Vergangenheit zu wissen. Entsprechend unbekannt erscheint uns dann auch das, was weit unterhalb der Stationswohnräume liegt: Riesige Höhlen aus längst vergangenen Zeiten, vollgestopft mit religiösen Artefakten, Statuen, Bildhauereien und Steinsärgen. Es scheinen die Überreste einer völlig unbekannten Zivilisation zu sein, mit der offenbar auch ein schreckliches Wissen verlorenging. Ein Wissen über Reisen an einen Ort, wo kein Jesus das Brot, sondern eher ein Baal die menschlichen Knochen bricht. Ob dieser nur sehr gelegentliche, verrauschte Funkkontakt zu Expeditionsteilnehmern direkt von dort kommt? Sie warnen uns davor, ihrem Pfad zu folgen, doch lässt sich das überhaupt vermeiden?
Wir werden es sehen, wenn wir nun weitere der beinahe obligatorischen Rätsel lösen. Eigentlich ist Conarium nämlich wie ein spielbares Buch, das unserem Lesefortschritt nur wenige Steine in den Weg legen möchte, dabei aber trotzdem die wichtigste Adventure-Regel („Kommst du nicht weiter, hast du etwas übersehen“) geltend macht. So mussten wir während unserer Kollegensuche zweimal das Lesezeichen einstecken – einmal legten wir den Schinken sogar kurz beiseite. Aber hey: So etwas passiert den Besten von uns.
Die Verschmelzung von Musik und Stimme
Seine schwankende Schönheit verdankt Conarium sicher nicht nur Zoetropes Grafikexperten, sondern auch der Unreal Engine 4. Vieles, was wir sowohl in der Station als auch unter Tage zu sehen bekommen, überzeugt – zumindest auf den ersten Blick. Das nähere Hinsehen offenbart, dass nicht einmal die Umgebungstexturen von Zeitrissen verschont geblieben sind, da hier die Jahre 2017 und 1997 gerne einmal neben- oder auch übereinanderliegen. Ein auffälliger Low- und High-Res-Mischmasch, dessen Bildwiederholungsrate in manchen effektreichen Ecken der Vorhölle in ziemlich böse Bereiche abrutschen kann. In der Regel jedoch nur für kurze Zeit, sodass wir den einen oder anderen „Bildsprung“ relativ schnell vergessen (und sogar verziehen) haben.
Etwas schwerer fällt es uns da schon, den in tontechnischer Hinsicht vermurksten Sound zu verzeihen. Besonders die bemüht wirkende Stimme des Protagonisten klingt leider nach einer eilproduzierten Day-One-Nachreiche, die mangels Durchsetzungsfähigkeit oftmals hinter der vermuffelten Musikuntermalung zu verschwinden droht. Im kristallenen Hi-Fi-Gewand könnte letztere das Bildschirmgeschehen noch weitaus besser transportieren, weshalb wir von der Soundwertung ein paar Punkte werden abziehen müssen.
Fern dessen macht Conarium aber einen ordentlichen Eindruck. Während des Spielens sind wir weder auf nennenswerte Bugs noch auf hässliche Clipping-Effekte gestoßen, die wir allerdings auch nicht gesucht haben. Stattdessen suchten wir nach einer interessanten und verqueren Geschichte, die uns vielleicht dauerhaft im Gedächtnis bleiben würde – mit Erfolg.
Fazit: Lesenswert
Wer morgens eine Handvoll Augäpfel unters Müsli mischt und beim Verzehr ein Ründchen Outlast spielt, dürfte von Conarium weniger bis gar nicht angetan sein … Sorry, Jigsaw. Herbeigetrommelt seien nun eher diejenigen, die abstraktem und dezent verborgenem Horror offen gegenüberstehen – die gerne ihre grauen Zellen in Rotation sehen und dabei eine dunkle Atmosphäre genießen wollen. Zoetrope Interactive belohnt jene Offenheit mit ungewöhnlich abwechslungsreichem Gameplay und einem angenehm epochenfremden Horrorthema, das wahrscheinlich nie den Comedy-Schwenk eines Frankenstein-Films der 30er Jahre erleben wird.
Der aktuelle Steam-Preis von 20 Euro erscheint uns durchaus angemessen, auch wenn Conariums Wiederspielwert adventuretypisch gering ausfällt. Die meisten von euch dürften gut acht Stunden Spielzeit sowie einen bleibenden Eindruck aus dem Ausnahmetitel herausquetschen können.