Nicht selten musste ich mir als Spiele-Journalist vorwerfen lassen, Genres unfachmännisch – ja gar verfälschend – zu vermischen. So hätte ich etwa Spiele als Survivalspiele bezeichnet, obwohl sie doch eigentlich gar keine echten Survivalspiele seien.
Viele sind zum Beispiel der Ansicht, das Battle-Royale-Shooter keine Survivalspiele sind. Das hängt natürlich erst einmal davon ab, wie man das Genre überhaupt definiert. Für viele Spieler bedeutet es: Kampf gegen die Umwelt, gegen äußere Widrigkeiten, um die Befriedigung der Grundbedürfnisse und auch gegen andere Spieler, die das selbe versuchen. Extrahiert man nur den PvP-Aspekt, wie Battle Royale das tut, handelt es sich in den Augen einiger Kritiker nicht mehr um echtes Survival.
In meiner Argumentation handelt es sich bei Battle Royale um eine Auskopplung von Survival, weshalb der Vergleich und die Bezeichnung Survival-Shooter für mich Sinn ergibt. Zumal ich in Artikeln zu PUBG oder DayZ oder Apex oder Rust oftmals eine ähnliche Zielgruppe anspreche. Wozu diese lange und breite Erklärung? Weil jetzt ein brutaler Vergleich folgt, der Survival-Puristen die Fußnägel aufstellen dürfte: Dirt Rally 2.0 hat mehr Survival im Blut als mancher „echte“ Genrevertreter.
Dirt was?
Dirt Rally 2.0 ist der Nachfolger des unter Hardcore-Rallyespielern gefeierten 2015 Rennspiels Dirt Rally. Als Rennsimulation versuchen beide Titel, den fahrerisch extrem anspruchsvollen Rallye-Sport möglichst wirklichkeitsnah zu simulieren. Und beiden Spielen gelingt das sehr gut, wie die internationale Presse unisono bestätigt. Bei Spielern fällt die Kritik des zweiten Teils dagegen durchwachsen aus, was hauptsächlich am Always-Online-Aspekt des Einzelspieler-Erlebnisses liegt.
Was hat ein Rennspiel mit Survival zu tun?
Dirt Rally 2 ist beim Schwierigkeitsgrad genauso brutal und kompromisslos wie der Vorgänger. Das führt dazu, dass man manchmal echt das Gefühl bekommt, man kämpft gerade ums Überleben. Damit ist das „Überleben“ des eigenen Rallye-Autos gemeint.
Ein kleiner Erfahrungsbericht zur Veranschaulichung meines steilen Vergleichs: Für diesen Artikel habe ich eine Renn-Etappe in New England, USA gewählt. Die Strecke heißt Beaver Creek Trail Reverse, ist 12,86 Kilometer lang und besteht aus einer Mischung aus grobem und mittlerem Schotter. Es ist hellichter Tag und die Strecke ist trocken. Ich fahre in einem modernen Rallye-Monster: Einem VW Polo GTI R5.
Auch im Real Life nehme ich einige Anpassungen vor: Wenn ich meinen Controller anschließe und Dirt Rally 2.0 starte, stelle ich den Schreibtischstuhl und den Monitor etwas tiefer, damit meine Füße fest auf dem Boden stehen. Beim Spielen beuge ich mich vor und halte das Gamepad zwischen den Knien, damit ich meine Hände möglichst frei bewegen kann. Denn ich weiß, was jetzt kommt fordert alles, was ich an Konzentration und Fingerfertigkeit aufbringen kann.
Ich fahre mit manchmal über 200 km/h über langgezogene Geraden einer engen Schotterpiste, dann folgt die Ansage meiner Beifahrerin: 2 links! Ich richte das Fahrzeug gerade aus, fixiere den schnell näherkommenden Eingang der harten Linkskurve mit dem Blick, bremse zum richtigen Zeitpunkt, vorsichtig, nicht zu stark… um im perfekten Moment links einzuschlagen, wieder Vollgas zu geben und in einem sauberen (Dreck aufwirbelnden) Drift mit 80 km/h um die Kurve zu schlittern.
Wie das von mir im Spiel gefahrene Rallye-Monster im echten Leben aussieht, kannst du dir übrigens hier mal als Video anschauen:
Härter als viele Survivalspiele
Während klassische Survivalspiele für Spieler mit viel Erfahrung oft nur noch ein Abspulen von Routinen darstellen und die einzige echte Gefahr von anderen Spielern ausgeht, musst du in Dirt Rally 2.0 jederzeit voll konzentriert sein, um zu „überleben“.
Fühlst du dich zu sicher und machst einen Fehler, endet deine Fahrt unter Umständen an einem Baum am Streckenrand. Durch das Reglement des Hardcore-Rennspiels kannst du Wertungsprüfungen zwar fünf Mal pro Renn-Event neu starten, einen Totalschaden kannst du aber nicht ungeschehen machen. Sofern du nicht deinen Techniker entsprechend aufgelevelt hast, endet das ganze Event an dieser Stelle. Somit schwingt immer eine Gefahr mit.
Okay, okay: Natürlich kann man ein brutales Rennspiel nicht wirklich mit einem Survivalspiel vergleichen, viel zu unterschiedlich die Anforderungen an den Spieler, zu weit auseinander das Kern-Gameplay. Obwohl eines bei beiden Genres gilt: Wer viel Erfahrung hat, ist klar im Vorteil.
Meine Kritik bleibt trotzdem bestehen: Survivalspiele könnten sich neue Aspekte einfallen lassen, um das Überleben auch für alte Genre-Hasen wieder herausfordernder zu machen – abseits von PvP und dem schieren Fehlen von Grundnahrungsmitteln. Dann müssen die Veteranen auch nicht mit Rallyespielen liebäugeln, um den Rausch der Gefahr zu erleben. Obwohl sich ein Blick über den Tellerrand natürlich immer lohnen kann.