Im März letzten Jahres veröffentlichte Ubisoft Far Cry: Primal – zusammen mit einigen sehr guten Nichtkaufargumenten. Als da waren: Das dreiste Far-Cry-4-Map-Recycling, die noch viel dreistere Datenschutzrichtlinie und die wir-zählen-schon-gar-nicht-mehr-mit-wievielte Variante der Ubisoft-Formel. Ihr wisst schon: Türme. Dann aber, im April, knisterte es in der Update-Schlange, denn der heiß ersehnte Survival-Mode wollte sich in den Spielordner schreiben. Es war nicht weniger als der Moment der eigentlichen Freischaltung des Spiels.
Der „normale“ Modus war nämlich fehlgeleiteter Early-Access-Content. Wie Artificial Girl 2 mit Horst Schlämmer (Isch kopuliere), wie Battlefield 1 mit Wasserpistolen, wie eine Jungsteinzeit-Attraktion in Disneyland – mit Ramona Drews als Milchziege. Mäh, so etwas wollten wir nicht. Wir wollten ein Far Cry mit glaubwürdigem Steinzeit-Setting. Eines, das uns die Säbelzähne des Smilodon richtig schmerzvoll ins Hinterteil treiben würde. Der Autor sagt: Mit Far Cry: Primal Survivor bekamen wir genau das. Und: Dieser Modus bietet sogar mehr Survival als viele der sogenannten „echten“ Survival-Games.
Survivor: Die 135-Grad-Wende
Wir haben dem prähistorischen Kyrat noch kein Grashalm gekrümmt, da erklärt schon ein Warnscreen den einstigen Kinderspielplatz zu einer Art Realausgabe des Dschungelcamps: „Wenn du rennst, kämpfst, schnellreist oder überhaupt nur an Bewegung denkst, verbrauchst du Ausdauer. Und die, Kollege Turnschuh, regeneriert sich nur im Schlaf vollständig“. Ja sag‘ einmal … Und was erzählt uns das Optionsmenü da? Permatod? Jetzt hörts aber ganz auf. Wir sind tatsächlich sterblich geworden – anno 2016 (oder auch 17), in einem Far-Cry-Spiel.
Das ist ziemlich starker Tobak. Denn während der Schnellreise greifen wir überdies, ohne uns vorher um Erlaubnis zu fragen, in den persönlichen Fleischbeutel – und essen. Abhängig von der Reisedistanz mit Vergnügen gleich zwei oder gar drei blutige Brocken, aber das macht ja nichts. Es ist schließlich nicht so, als müssten wir jenes rüpelhafte Benehmen uns selbst gegenüber erst einmal mental verarbeiten – da kann uns Ubisoft auch gleich noch Schloss und Riegel vor die Schnellspeichern-Taste schieben. Der Tag ist so entsetzlich im Eimer, Leute…
Nein, Spaß kurzzeitig beiseite: Ist er nicht. Für richtig harte (oder auch einfach nur alte) Männer ist es sogar ein herrlicher Tag in Oros bzw. in Kyros, denn mit Far Cry: Primal Survivor kehrt ein längst vergessenes Spielgefühl auf den Bildschirm zurück. So lange wir nämlich auch auf letzteren starren: Da ist keine Minimap. Ebenso wenig ist da ein penetrant geloopter Reminder bezüglich Person Ys irgendwo in Z verlorener Hausgamaschen. Wir haben nicht mal einen zappeligen Hier-geht-es-zu-Ihrem-Abenteuer-Pfeil auf der Nase kleben, sodass sämtliche Grundlagen für ein heftiges Survival-Abenteuer – heftiger noch als Hartz IV – geschaffen sind.
Ein Tod ist nur der Anfang
Als wir Far Cry: Primal zum ersten Mal spielten und testeten, fühlten wir uns trotz des ungewöhnlichen Settings zu keiner Zeit außerhalb des Franchises. Mitunter auch deswegen vermissten wir zeitweilig diese schönen halb- bis vollautomatischen Waisenmacher, die unsere etwas aufgesetzt wirkende Hilflosigkeit abrupt in Wohlgefallen auflösen würden. Im Survival-Modus verhält sich das anders, wenngleich uns die obligatorischen Panne-Protagonisten nach wie vor ins Gedächtnis rufen, dass vor dem „Primal“ immer noch ein „Far Cry“ steht. Es ist die beträchtliche Praxisnähe zur Selektionstheorie, angesichts derer wir jedwede Darbietungen frühzeitlicher Verhaltensstörungen relativ gut ignorieren können.
Und diese Praxisnähe zeigt sich sehr schnell – etwa, wenn wir nach unserem ersten Gespräch mit Sayla die Höhle verlassen und gleich um die Ecke von einem Rothündchen auf den Hintern gelegt werden („Waff, waff, da bist du baff!“). Aber hallo, ist das jetzt wirklich passiert? Oh ja: Unser generell viel zu gewohnter Status als Heldengeborener schwand soeben mit nur einem einzigen „Waff“. Binnen Sekunden sind wir hier in der Nahrungskette so weit nach unten gerutscht, dass wir beginnen, die Spielwelt mit anderen Augen zu sehen. Auch die vorerst maximalen vier Pfeile in unserem Köcher zwingen uns dazu, umzudenken.
Was nun? Lustig umher rennen ist nicht mehr, denn nahezu jedes Lebewesen schickt uns mittels zweier Ohrfeigen auf die Bretter. Der erste Watschen kostet uns in der Regel die komplette Lebensenergie (im Survival-Modus sind es höchstens drei Balken), während uns der zweite, logisch, unser Leben kostet. Eine Ausnahme macht – neben den „Riesen“ Oros‘ – ein alter Bekannter aus Far Cry 4: die negativ berühmte Panzerschildkröte im Dachs-Kostüm. Wenn sie auch nur einmal kurz durch hustet, steht erneut ein Paar herrenloser Fellschuhe im Steinzeitwald.
Nur für gute Nerven…
Und so kommt es, dass wir das Leben immerhin virtuell schätzen lernen. Besonders zu Beginn kriechen wir durchs Unterholz, als fiele uns jeden Moment der Himmel auf den Kopf, denn selten wirkte eine Spielumgebung derart feindlich. Dieses Gefühl vermittelnd, ist Far Cry: Primal im Survival-Mode endlich das, was es sein sollte: Ein harter Kampf ums Überleben an halbwegs korrekter Position im Ökosystem. Für diesbezügliche Balance sorgt im weiteren Verlauf die Sperrung einiger Upgrades, die wir so manches Mal noch herzlich verfluchen werden – trotz unserer Lizenz zum Tätscheln von „Bären und Bestien“.
In Survivor müssen wir sie nämlich überhaupt erst einmal tätscheln können, so wir von wahren „Bestien“ (Säbelzahntiger aufwärts) sprechen. Zur Zähmung eines Smilodon sei an dieser Stelle Saylas Höhlenrettungsmission wärmstens empfohlen, da sie auf anderem Wege sowieso kaum lösbar scheint. Selbst in Begleitung eines stattlichen Berglöwen legen wir hier gerne ein paar Notizzettel neben unsere Tastatur, auf denen wir Strich für Strich die Anzahl unserer Tode dokumentieren. Das macht Spaß und lenkt ein wenig von der Tatsache ab, dass wir gerade schon im zweiten Missionsanlauf 30 oder auch 40 Tode sterben. Es bedarf zuweilen also cleverer Taktiken, die optimalerweise noch vor Ankunft der Männer mit der weißen Weste ersonnen werden.
Diese rücken gleichfalls gerne an, wenn wir uns über das Ausmaß der Änderungen noch nicht so ganz im Klaren sind. So könnten wir beispielsweise nach einem durchkloppten In-Game-Tag irgendwo am A.v.O stehen, und – ob der späten Tageszeit – allmählich die Heimschnellreise antreten wollen. Also wählen wir auf der Karte das Wenja-Dorf und … „Wie, das geht nicht…? Zu wenig Ausdauer und/oder Fleisch? Aber das nächste Leuchtf… Nein, das habe ich ja noch gar nicht erobern können!“. In diesem Moment bemerken wir dann außerdem, dass uns die Müdigkeit stark verlangsamt hat – und, dass das Ergebnis von Nacht + wenig Ausdauer + wenig Fleisch im Grunde gleich Tod ist. Oh, haben wir da etwa den Permadeath aktiviert?
…, aber überlebenswert
Oh Survivor, du böser, böser Survival-Modus! Aber, und das müssen wir dir letztlich lassen: Es sind gerade deine kinnladenausrenkenden Momente, die uns das Gefühl geben, noch mehr Steinzeitmensch zu sein als ohnehin schon. Endlich können wir diese merkwürdigen Kreaturen aus unseren „Was ist was“-Kinderbüchern nicht mehr bloß sehen, sondern auch fürchten. Erst jetzt stehen wir wirklich vor einem Ubisoft-Säbelzahntiger und sagen: „Echt krass, dass so etwas mal existiert hat“, während er sich genüsslich die blutverschmierten Katzentatzen ableckt. Und erst jetzt machen wir einen wirklich großen Bogen um die stinkenden Yaks – oder erschrecken, wenn vor uns plötzlich eines riesiges Wollnashorn aus dem Boden spawnt.
Für steinzeitaffine Survival-Fans gibt es wirklich keinen Grund mehr, das riesige Open-World-Abenteuer um den Homo Sapiens Takkar auszulassen. Außer der Datenschutzrichtlinie.