Wenn ein Spiel besser als sein Trailer ist, ist der Trailer wohl einfach schlecht. Oder? Nein, nicht immer, wie uns der neue Survival-Horrortitel Home Sweet Home aus Thailand beweist. Die Videoankündigung des Spiels suggerierte vor allem ein „nettes“ First-Person-Fangenspielchen mit einer aggressiven Geisterfrau – doch das ist YGGDRAZIL GROUPs derber Erstling nur mitunter. Erfahrt in diesem Review, wieso das Gros der internationalen Genrekonkurrenz den Vergleich mit Home Sweet Home durchaus fürchten muss.
Ein wahrhaft böses Erwachen
Alles beginnt mit einer Rendersequenz, im Schwarzlicht der Zwei-Watt-Glühbirne eines schwarz tapezierten Raumes. Hier diskutieren die in einen Pecheimer gefallenen Eheleute Tim und Jane – wir können sie nicht sehen, aber hören. Eine halbe Minute lang. Dann plötzlich endet die Maulwurfsimulation, denn Protagonist Tim, durch dessen Augen wir sehen, erwacht.
Was war denn das, ein Traum? Verwirrung macht sich breit, da wir auf die Graffitiwände eines heruntergekommenes Bronx-Wohnlochs starren. Nein, das ist mal so gar nicht unser Style; seit Jahren leben wir nämlich schon in einem sündhaft teuren Einfamilienhaus mit Garten. Also, was ist hier eigentlich los? Und wo zum Teufel steckt Jane?
Wir reißen die beinahe in sich zusammenfallende Haustür auf und fühlen uns prompt wie damals im Studentenwohnheim. Nur, dass die vor uns stehende Studentin schon lange tot ist und uns mit einem Teppichmesser erzählen will, was sie von den rostigen Nägeln in ihrem Magen hält. Offenbar wurde sie Opfer des in der Thai-Mythologie beschriebenen „Verfluchte Nägel“-Hexenzaubers, der ähnlich einem Voodoo-Ritual durchgeführt wird.
Angesichts der scharfen Klinge in unserer Brust ist dies aber eher nebensächlich: über wildes Tastengetrommel retten wir uns knapp in die nächste Wohnung, wo wir hinter einem Duschvorhang kauernd zusehen dürfen, wie die (un)gnädige Frau – mit Anlauf – literweise Nagelblutsuppe über den Boden erbricht … Mhm, lecker! Immerhin halten ihre anderen Körperöffnungen dicht, bis sie kurz darauf fürs erste verschwindet.
Allmählich verstummt auch die fernöstlich instrumentierte Drohmusik, die uns bis eben noch wie einen Schaumstoffschwamm ins Duscheck presste. Wer auch immer Shane (so der Name der Antagonistin) mit diesen Tönen verknüpfte, wusste eindeutig, was er tat. Wir atmen auf und schieben uns vorsichtig gen Ende des Hausflurs, dann in Richtung einer seltsamen Mischung aus Luftschachtabdeckung und Zwergentür.
Ist das vielleicht der Ausgang aus unserem Albtraum? Wir befragen das Objekt mit einem unterwegs gefundenen Brecheisen: ein Luftschacht kommt zutage. Ein Luftschacht, der uns nach nur wenigen Metern im Abstellraum unseres Eigenheims absetzt. Ah ja. Sollten wir etwa eines Couchdoktors bedürfen? War Shane in Wahrheit womöglich Jane, die – ebenso wie wir – eine Halluzinogenpilzsuppe zu Abend schlürfte? Wir schauen uns um, doch Jane ist nicht hier…
Mythologie zum Weglaufen
Da ist lediglich eine einsame Seite aus ihrem Tagebuch, deren Inhalt uns sachte gähnen lässt. Noch ahnen wir nicht, dass künftige Seiten eine interessante und schwerwiegende Geschichte erzählen werden – die Geschichte von Jane und Tim. Als erstere plötzlich aus dem Abstellraum heraus zu schreien scheint, sind wir augenblicklich wieder wach: Wie von der Tarantel gestochen folgen wir den markerschütternden Lauten, wieder hinein in den mysteriösen Luftschacht.
Von wegen Horror in den eigenen vier Wänden. Wenn Condemned: Criminal Origins und Project Zero 3: The Tormented ein Kind hätten, hieße es wohl Home Sweet Home. Denn genau wie im erwähnten The Tormented fungiert unser Haus als eine Art Zentrale; das eigentliche Spiel findet an ganz anderen und sehr unterschiedlichen Orten statt. So bewegen wir uns beispielsweise durch ein Polizeirevier, eine große Schule und sogar durch eine unheimliche Blockhüttenanlage à la Kanada. Das genretypische Krankenhaus hingegen befindet sich glücklicherweise einmal nicht auf der Liste.
Home Sweet Homes Setting-Potpourri ist einerseits der vielschichtigen Story geschuldet. Alle Schauplätze des schmutzig-düsteren Spiels scheinen in unserer Vergangenheit eine tragende Rolle gespielt zu haben. Andererseits erfordern die teils haushohen mythologischen Gegner natürlich die jeweils passende Umgebung: der mächtige Preta zum Beispiel. Mit seinen kleinwagengroßen Schaufelhänden bringt dieser Thai-Titan jede Menge Zerstörung.
Sein einziges, rot leuchtendes Auge indes agiert als Stealth-typische Sicherheitskamera. Eine starke Idee, auch wenn man es nicht meinen würde. Bei allen Standing Ovations für Splinter Cell (und im Übrigen auch Alien Isolation) vergaßen YGGDRAZIL nämlich zu keiner Zeit, ein gesundes Maß an eigenen Innovationen einzustreuen. Die guten alten Spind-Versteckspielchen etwa wurden insofern erweitert, als wir uns ob der teils zerstörten Türen ducken müssen. Nervenkitzel ist hier garantiert, denn das Ducken erfolgt – genau wie auch das um die Ecke luken – mausgesteuert und stufenlos.
Ebenfalls nicht ganz uninnovativ zeigt sich die Rätselsektion des Hide-and-Sneak-Horrors. Während sie uns am unteren Ende der Ideenskala wieder einmal am dreistelligen Zahlenschloss drehen lässt, brilliert sie am oberen Ende mit einigen pfiffigen Geometrierätseln. Das klingt vielleicht etwas trocken, macht aber Spaß. Auch dann, wenn unser Mathe-Diplom noch in der Uni liegen und unser IQ von 160 nur ein Schätzwert unseres Therapeuten sein sollte.
Nicht zuletzt deswegen stimmt dann auch der allgemeine Spielfluss, wobei es an Home Sweet Home allgemein recht wenig auszusetzen gibt. So egalisiert sich das gelegentliche Backtracking durch viele neu zugängliche Bereiche – und die manchmal eine Kurzsichtigkeit vortäuschende Tiefenschärfe trägt letztlich viel zur Atmosphäre bei. In eben diese könnt ihr übrigens auch kostenlos hineinschnuppern: Bereits im August veröffentlichten die Entwickler das erste Kapitel als spielbare Demo.
Fazit: Große Leistung, kleiner Preis
Für derzeit 17 Euro (Steam) gibt es hier fast nichts zu überlegen: Home Sweet Home ist genau die Sorte Survival Horror, die Genrefans bestellt haben. Schnörkellos, aber nicht anspruchslos; linear, aber mit einigen spielerischen Freiheiten; blutig, aber niemals überzogen. Ihr müsst Asia Horror nicht einmal sonderlich zugetan sein, um Home Sweet Home etwas abgewinnen zu können – der Handlungsstrang ist auch ohne bewusstseinserweiternde Mittel gut nachvollziehbar.
Das einzige, was dem einen oder anderen Gamer hier auf den Magen schlagen könnte, ist die Tatsache, dass es sich um ein episodisches Abenteuer handelt. Aber wer stört sich eigentlich an einer episodischen Unterteilung, wenn jede einzelne Episode die Spielzeit eines Vollpreistitels hat?
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