Während die Allison Road mit jedem Monat zielsicherer gen Bielefeld abzuwandern scheint, simuliert Visage nun also – jedenfalls meiner Meinung nach – Wäschetrockner-Quality-Assurance mit trivialen Zwischenfällen. War es das nun zum Thema PC-P.T.? Bis vor einer Woche ging ich noch schwer davon aus, denn immerhin liegt der Hype um Konamis Playable Teaser jetzt mehr als vier Jahre zurück – und welcher Entwickler möchte schon auf einen Zug aufspringen, der vor derart langer Zeit aus dem Bahnhof zischte?
Nun ja: Clinton McCleary alias Caustic Reality zum Beispiel, auch wenn der Australier offiziell nie beabsichtigte, mit Infliction einen P.T.-Klon auf den Markt zu bringen. Das wäre zugegebenermaßen auch zu wenig gesagt, ließe sich sein First-Person-Überlebenshorror nämlich genauso gut als „outlastiges“ Teilzeit-Fatal-Frame charakterisieren. Dennoch bleiben Inflictions Eckdaten ziemlich genau die des Playable Teasers. Und was das Tollste ist: McClearys erstaunlich erwachsener Erstling unterliegt diesem in nur einer einzigen Kategorie.
Infliction: Das P.T. für den PC?
Dabei beginnt Infliction eigentlich vielmehr wie ein 08/15-Horrorspiel von der Steam’schen Unity-Müllhalde; mit einer Render-Autofahrt, die „dank“ einer Bildwiederholrate von gefühlt 5 FPS leidvolle Erinnerungen ans 31 Jahre alte Test Drive weckt. Schlimm: Des späten Abends kurvt hier ein mutmaßlich abgearbeiteter Familienvater durch eine suburbane Einfamilienhäuserwelt, als sich ihm plötzlich – am linken Straßenrand – ein böses Unfallszenario bietet: Ein Auto ist vor einen Baum gefahren, der Motor qualmt, der Fahrer oder die Fahrerin vermutlich auch. Ein Selbstmordversuch? Egal, für Papa zählt jetzt nur eines, und das sind die wohligen 60 FPS seines Eigenheims, das zum Glück gleich um die Ecke gelegen ist. In diesem Sinne: Nichts wie hin.

In der merkwürdigerweise bereits geöffneten Garage angekommen, legt der Mann sein Schicksal vertrauensvoll in deine Maushand. Deine erste „Mission“: Führe ihn durch das Dunkel zum Licht, oder besser gesagt: bringe ihn mittels der obligatorischen Horror-Taschenfunzel stolperfrei zur vorderen Eingangstür. Das ist leicht – und auch sonst lässt dich Infliction erst einmal das (häusliche) Leben genießen.
Zwar scheinen deine Teen-Tochter wie auch deine Frau heute bei ihren Liebhabern zu übernachten. Dafür hat der Entwickler das Haus mit massenhaft wichtigem bis witzigem Kram vollgestopft. Auf der einen Seite wären da zum Beispiel ein wahres Instant-Brechmittel von einem TV-Koch sowie ein äußerst aufschlussreiches Print-Interview mit einer schnuckligen Waffennärrin. Auf der anderen Seite findest du in manchen Schränken und Schubladen (die sich meist nicht nur des Öffnens wegen öffnen lassen) storyrelevante Objekte, die vorerst milde auf eine zum Schreien üble Familientragödie einstimmen. Und ich meine zum Schreien übel; insbesondere Menschen aus kaputten Familien sollten sich auf den einen oder anderen Triggermoment einstellen.
Angst in Reinform
Ich für meinen Teil habe mich bestimmt eine Stunde lang interessiert in der zweietagigen Edelhütte umgesehen, doch tatsächlich wartet das Grauen gleich im Keller. Denn nach einem kleinen Dimensionswechsel entdeckst du hier die blutigen Spuren „deiner“ vergangenen Machenschaften: ein satanisches Pentagramm, eine mysteriöse Maske à la Black Metal, haufenweise Tiergedärme, und ein Nekronomikon. Oh, oh! Und es kommt noch schlimmer: Anscheinend wurde deine Chat-Anfrage ins Jenseits von einer jung (und vor allem stinksauer) gestorbenen Frau bestätigt, die nun erst mal auf unglaublich gruselige Art und Weise durchs Kellerdunkel in deine Richtung schleicht.

Wegrennen? Schön wärs. Infliction ist ein recht schweres Spiel, das dich sprichwörtlich nicht vor Problemen wegrennen lässt – und das darüber hinaus gerne mit Versteckmöglichkeiten geizt. McCleary scheint eindeutig erkannt zu haben, dass ein an sich bedrohlicher Feind nicht lange bedrohlich bleibt, wenn man ihm relativ problemlos entfleuchen kann. Außerdem hat er wohlweislich dafür gesorgt, dass es keine ultimative Taktik gegen die Häscher-Frau gibt. Dazu lässt er sie fast niemals vorhersehbar erscheinen (oft jedoch nach einer akustischen Ankündigung) – und schon gar nicht an den immer gleichen Orten. (Owned.)
Ein in sich stimmiges Gameplay-Potpourri
Anders als in Home Sweet Home zum Beispiel wirst du in Infliction also permanent umdenken müssen; auch wegen der gelegentlich wechselnden Settings, die großen Einfluss auf das Gameplay nehmen. So landest du unter anderem – storybedingt – in einer Ranz-Irrenanstalt mit Schlachtbank-Charme, wo dir ein Horror-Metzger die Vorteile einer betäubungsfreien Schlachtung erläutert. Tatkräftig, versteht sich. Und damit er deine Ankunft auch ja nicht verpasst, hat er den Boden des Vorraums zur Leichenhalle mit vielen kleinen Glasscherben präpariert. Knacks. Sam Fisher könnte darüber wohl nur lachen, du aber wirst einen anderen Weg finden müssen, um dem Hackebeil des Leichenleckerschmeckers zu entgehen.

Womit im Übrigen auch gesagt wäre, wie sich die Rätsel Inflictions im Allgemeinen gestalten – nämlich eher subtil. Nur ein einziges Mal wirst du es hier mit der wohl gängigsten Entschuldigung für ein Rätsel, einem Zahlenschloss, zu tun bekommen; und nur ganz selten werden dich verschlossene Türen dazu nötigen, den jeweils passenden Schlüssel zu finden.
Stattdessen hantierst du ab und an mit einer leicht ausrangierten Polaroid-Kamera, die ganz im Stile von Fatal Frame’s Camera Obscura verborgene Hinweise und Objekte zutage fördert. Zugleich macht sie allerdings auch den „Kellergeist“ rasend, sodass du den Auslöser nicht allzu oft und schon gar nicht in ihrer Nähe betätigen solltest. Außer natürlich, du möchtest den jeweiligen Abschnitt ganz von vorne beginnen, denn Checkpoints oder gar freies Speichern gibt es in Infliction nicht.
Ein Horrorspiel steht und fällt mit dem Sound
Das klingt gemein? Ja, manchmal ist es das auch, aber das Caustic-Reality-Debüt nimmt deine Amygdala derart motivierend bei den Hoden, dass du im Traum nicht daran denken wirst, aufzugeben. Anstatt dich also mit plumpen Jump-the-seat-Effekten zu langweilen, setzt Infliction durchweg auf ein durchdachtes Zusammenspiel aus krassen optischen Effekten, bedrohlichen Gegnerbewegungen und – vor allem – Geräuschen. Mega-Geräuschen. Alleine die Soundkulisse des Spiels hat bereits das Potential, menschliche Körperbehaarung in den Punk-Modus zu versetzen, doch McCleary versteht es außerdem, einem Feind (in diesem Fall besonders der Geisterfrau) einen wahren Raubtiercharakter einzuhauchen. Und das ist nicht gut – oder auch doch.

Hätte das Allround-Talent jetzt noch über die finanziellen Mittel von RYM GAMES (The Conjuring House) verfügt, hätte Infliction wohl das Zeug dazu gehabt, geradewegs durch die Decke zu gehen. So aber bleibt eine qualitativ schwankende bis zuweilen Sub-par-Umgebungsgrafik, die nicht bei jedem Horrorfreak Anklang finden wird. Jedoch empfiehlt es sich im Falle von Infliction wirklich nicht, eine Grafikhure zu sein. Denn ob mit oder ohne Hochglanzoptik: Caustic Realitys Einstand ist zweifelsohne eines der besten Survival-Horror-Games der letzten Jahre.
Fazit: So geht Horror
Clinton McCleary hat wahrlich ein Händchen für psychologischen Horror; das zeigt sich in Infliction bis ins kleinste Detail. Jede Pose, jede Bewegung der Gegner wirkt wohlüberlegt; jeder Ton und jeder Soundeffekt erscheint maßgeschneidert. Die relative Linearität der einzelnen Level wirkt sich positiv auf das Spielerlebnis aus, und auch aufseiten des Gameplays gibt es während der sehr kurzweiligen sechs Stunden nichts zu meckern. In meinem Test der Beta-Version gelang es mir zwar einmal, den Hauptfeind des Spiels an die Grenzen seiner künstlichen Intelligenz zu bringen. In der Regel aber durfte ich mich gemeingefährlicher Versteckspielchen sowie vieler böser Überraschungen erfreuen.
Kurz: Wer endlich wieder mal ein richtig gruseliges Horrorspiel sein Eigen nennen will, der kommt an Infliction nicht vorbei – schon gar nicht zu einem Preis von 17,99 Euro (Steam).