Seit dem 01. September ist das damals auf Kickstarter gestartete RTS Iron Harvest auf dem Markt. Unser RPG-Forge Autor Steven hat sich ins Kriegsgetümmel geworfen und verrät dir, warum sich Starcraft, Command & Conquer und Co. vor King Art Games Geniestreich vorsehen müssen.
Darum geht es: Wir schreiben das Jahr 1920. Der Erste Weltkrieg ist zwar vorüber, so wirklich Ruhe will allerdings nicht einkehren. Der Konflikt zwischen Polania und den Rusviets besteht weiterhin und in Saxony entbrennt ein politischer Machtkampf. Und du bist immer mittendrin. In der Einzelspieler Kampagne erlebst du nacheinander die Geschichte von jeweils einem Hauptcharakter der jeweiligen Fraktion. Iron Harvest besitzt zwar auch einen Multiplayer Modus sowie einen Gefechtsmodus gegen KI-Mitstreiter, Hauptaugenmerk liegt aber unschwer zu erkennen auf der Einzelspieler Kampagne. Und Teufel noch eins, die hat es wirklich in sich.
Über unseren Autor
Steven spielt sich jetzt schon seit zwei Jahrzehnten durch das Strategie-Genre. Dabei spielte es keine Rolle, ob es sich um Echtzeit- oder rundenbasierte Strategie handelt. Unzählige Stunden wurden in die Command & Conquer, Warcraft oder Starcraft Reihe versenkt. Mindestens genauso viele Stunden gingen aber auch für rundenbasierte Titel wie Jagged Alliance, X-Com oder Mutant Year Zero drauf. Nebenbei blieb aber auch immer wieder Zeit, kleine Perlen wie die Commandos Reihe oder das vor gar nicht allzu langer Zeit erschienene Broken Lines zu spielen, welches wir ebenfalls ausführlich getestet haben.
Ein Fest für Einzelspieler
So startest du in die Kampagne: Du startest als Ana Kos die Polania Kampagne und erlebst ihren eher ungewollten Aufstieg zu einer Freiheitskämpferin. Die Missionen und die Zwischensequenzen erzählen eine sehr emotionale Geschichte und ist an so mancher Stelle einfach herzzerreißend. Es geht um Verlust, um Hoffnung, um Ungerechtigkeit. Ana versucht immer das zu tun, was ihr Herz ihr sagt, auch wenn die Allgemeinheit einen anderen Weg einschlagen will. Die einzelnen Missionen fügen sich zudem nahtlos in diese Geschichte ein und wirken nie unnatürlich oder deplatziert.
Sobald die Polania Kampagne abgeschlossen ist, wechselst du die Seite und schlüpfst in die Haut der Rusviet Spionin Olga Romanova. Wie es sich für eine waschechte Spionin gehört, ist sie wesentlich kampferprobter als Ana und lässt sich auch nicht so sehr von ihren Gefühlen leiten. Dies hat jedoch auch zur Folge, dass die Geschichte der Rusviet Kampagne lange nicht mehr so emotional ist. Außerdem steht hier der eigentliche Konflikt zwischen den Rusviets und Polania nicht mehr so sehr im Vordergrund. Vielmehr sehnt Olga sich nach den glorreichen Tagen des rusvietischen Reiches und tut alles für Mütterchen Rusviet.
Im dritten und letzten Kampagne-Abschnitt wechselst du erneut die Fraktion und findest dich im Reiche Saxony wieder. Du unterstützt Gunter von Duisburg dabei, innerpolitische Konflikte zu lösen und dem einst so mächtigen Reich zu alter Größe zu verhelfen. Das gestaltet sich jedoch äußerst schwierig, da du ständig einen schmalen Grat zwischen politischem Kräftemessen sowie Verrat und Hinterhalt betreten muss. Die Kampagne um Gunter von Duisburg ist mit Abstand die ungemütlichste der drei und auch die schwerste. Die drei Geschichten können nur in der angegebenen Reihenfolge gespielt werden und ziehen bis zum Ende in Sachen Schwierigkeitsgrad immer weiter an.
Geschichten, die unter die Haut gehen
King Art Games haben in Sachen Storytelling und Präsentation wirklich ganze Arbeit geleistet. Selten saß ich so gebannt vor dem Bildschirm und habe dem Ausgang der Geschichte entgegengefiebert wie in Iron Harvest. Die Erzählweise gefällt mir sogar noch etwas besser als beispielsweise in einem Warcraft oder Starcraft. Das mag auch daran liegen, dass Iron Harvest mit den drei Kampagnen eher kleinere Geschichten erzählt und diese mit den Missionen und Sequenzen ohne große Lücken durchzieht. Einige Male wechselt nach einer längeren Sequenz nicht mal der Schauplatz, lediglich das Missionsziel ist ein anderes.
So hat Iron Harvest die Konkurrenz hinter sich gelassen: In Sachen Story kann sich Iron Harvest auf jeden Fall die volle Punktzahl einstreichen. Wichtig ist jetzt natürlich noch zu wissen, ob es sich auch so gut spielt, wie es sich präsentiert. Aber auch hier müssen wir uns keine Sorgen machen, denn King Art Games haben ihre Hausaufgaben gemacht. Iron Harvest orientiert sich hier mehr an Genrevertreter wie Company of Heroes als Command & Conquer und Co. Der Fokus liegt dabei auf das strategisch ausgeklügelte Vorgehen meiner Einheit. Es gibt zwar auch den Basenbau, dieser ist jedoch auf das Nötigste reduziert.
Eigentlich gibt es nur drei Hauptgebäude, welche im Laufe des Spiels auch noch aufgewertet werden können. Im Hauptquartier können die ersten Standardeinheiten sowie im Kampf gefallene Helden trainiert werden. Des Weiteren gibt es noch ein Gebäude für weitere Infanterieeinheiten und eines für die Herstellung verschiedener Mechs. Das war es auch schon, denn kleine Bunker und Stacheldraht zähle ich jetzt mal nicht unbedingt dazu. Ressourcen findest du ebenfalls auf dem Schlachtfeld und brauchst diese somit nicht erst im Lager zu verarbeiten. Dieser Aspekt sollte dich jedoch nicht abschrecken, denn somit hat man viel mehr Zeit, sich um das Wesentliche zu kümmern, das Befehligen deiner Einheiten auf dem Schlachtfeld.
Systemvoraussetzung: Taktisches Know-How
Und hier lässt Iron Harvest gehörig seine Muskeln spielen. Als Taktik-Veteran macht es mir unglaublich viel Spaß, die Einheiten durch die Missionen zu dirigieren. Hinter fast jeder Mauer können die Truppen in Deckung gehen, Häuser können besetzt und als eine Art Bunker genutzt werden. Mit Granaten lassen sich feindliche Einheiten aus der Verteidigung locken. Oder du nutzt die Brechstangen Methode und schickst deine Mechs einfach durch Mauern und sogar ganze Gebäude durch. Ja, du hast richtig gehört. Unzählige Gebäude oder Hindernisse lassen sich zerstören. Allerdings bedeutet das auch für dich, dass deine Deckung sich in einem ungünstigen Moment pulverisieren kann. Das macht eine kluge Taktik umso wichtiger.
So hart ist der Schwierigkeitsgrad: Das spiegelt sich zudem auch im Schwierigkeitsgrad wider. Den ersten Durchlauf hatte ich auf leicht gestartet und dachte mir: „Ach eben schnell durch die Story spielen!“. Von wegen mal eben schnell, selbst auf dem niedrigsten Schwierigkeitsgrad hatte ich des Öfteren meine Probleme. Besonders in hitzigen Gefechten an mehreren Fronten, wenn ich keine Zeit hatte, meine Einheiten vernünftig zu positionieren, wurde ich teilweise gnadenlos niedergemacht. Aber das macht in meinen Augen auch einen Großteil des Reizes von Iron Harvest aus. Es ist ein tolles Gefühl, wenn ein Plan aufgeht und man den Feind vernichtend besiegt.
Klare Kaufempfehlung
Die gesamte Einzelspieler Kampagne hat mich einfach nur umgehauen und war mit das beste, was ich in letzter Zeit in dem Genre erleben durfte. Aber wie schaut es eigentlich mit dem Mehrspieler-Modus aus. Kann Iron Harvest auch hier mit den Genre-Königen konkurrieren? Ich muss gestehen, dass ich im Multiplayer Modus noch nicht so viel Zeit reingesteckt habe, um mir hier eine umfangreiche Meinung bilden zu können. Die ersten Missionen gegen die KI sowie die ersten Mehrspieler-Runden waren schon ganz cool, die verschiedenen Fraktionen spielen sich einfach aufgrund der ähnlichen Einheiten jedoch nicht sehr unterschiedlich.
Das muss per se nichts Schlechtes sein, aber die Genrevertreter bieten da auf den ersten Blick ein bisschen mehr Abwechslung. Aber wie eingangs erwähnt liegt der Fokus von Iron Harvest klar auf der packenden und wahnsinnig gut inszenierten Einzelspieler-Kampagne, mit der es sich definitiv nicht vor der starken Konkurrenz verstecken muss. Im Gegenteil, ich kann mich kaum daran erinnern, dass mich ein RTS geschichtlich so mitreißen konnte.
Ich werde in Iron Harvest definitiv noch die eine oder andere Stunde versenken. Und wer weiß, was uns in Zukunft noch an weiteren Inhalten erwarten wird. Und nun entschuldigt mich bitte, meine Truppen hocken gerade hinter einer Sandsackbarriere und wissen nicht mehr weiter, Zeit einzugreifen.