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Das postapokalyptische Rollenspiel Krai Mira befindet sich seit fast einem Jahr auf einer Mission Impossible, denn es möchte die geistige Nachfolge von Interplays Fallout antreten. Fans des längst verelderscrollten Kulttitels wissen: Das ist spätestens seit 2012 (sprich, seit der Ankündigung von Wasteland 2) nicht mehr möglich. Gegen einen Brian Fargo und ein „Fallout 3 der Herzen“ kann nämlich niemand anstinken; auch nicht TallTech studio, die es mit dem jüngst veröffentlichten Extended Cut von Krai Mira erneut versuchen wollen. Kann das Werk der drei Russen Fallout-Fans vielleicht dennoch verzücken?
Keine zündende Idee
Ähnlich wie Kingdom Come: Deliverance begrüßt uns auch Krai Mira (zu Deutsch: „Weltregion“) mit einer Slide-Show-artigen Intro-Sequenz. Inmitten einer dynamischen Ödland-Kulisse sehen wir hier, retrospektiv, einen nuklearen „Big Bang“, der von einer fiktiven Inselstadt kaum mehr als Stein- und Sandwüsten übriglässt. Wessen Namen der Atompilz in den Himmel schreibt – Kim J. oder Donald J. –, lässt der englische Sprecher offen. Dafür entführt uns seine Intonation noch einmal in die Zeiten von Ultima Underworld, Heretic und 33-MHz-CPUs.
Zweifellos versteht man bei TallTech also etwas von Altenpflege, allerdings lässt das Background-Storywriting des Genossen Kravtsiv ein wenig zu Wünschen übrig. Wir erfahren lediglich, dass die Überlebenden der atomaren Katastrophe irgendwo zwischen gegenwärtigen und steinzeitlichen Verhältnissen um ihr Überleben kämpfen. Und, dass sie sich neuerdings einer weiteren Bedrohung, den Tauren, gegenübersehen.
Die allgegenwärtige Strahlung hat hier jedoch nicht etwa mythologische Halbmenschen mit Pferdekörpern oder Stierköpfen hervorgebracht, sondern das Äquivalent zu Fallouts Raidern. Entsprechend handelt es sich bei den Tauren um ziemlich unfreundliche und teils kannibalistische Burschen, die über improvisierte Siedlungen ähnlich hinwegfegen, wie nukleare Explosionen über Inselstädte.
„Look ma‘, I’m a lumberjack!“
Mit diesem knappen Wissen werden wir dann auch schon in die Spielwelt geworfen, in Gestalt eines hoffentlich gewollt komischen Serious-Sam-Lookalikes. Der Einfluss der altehrwürdigen Interplay-RPGs reichte also keinesfalls so weit, als dass es für einen rudimentären Charakter-Editor gereicht hätte. Auf der positiven Seite haben sich die Entwickler vieler Kritikpunkte der Vorversion angenommen und beispielsweise ein Tutorial integriert. Darüber hinaus hat das aufs Inventar bezogene Rätselraten hinsichtlich Waffen- und Item-Wirkung nun ein Ende.
Der Titel „Extended Cut“ bezieht sich vor allem aber auf eine Content-Erweiterung: Zur streng linearen Handlung der Hauptquest gesellen sich neben zahlreichen Sidequests jetzt auch ein paar ignorierwürdige Mini-Spiele sowie einige neue Locations, die u.a. ein Tal („Valley of Stones“), eine wissenschaftliche Forschungseinrichtung und einen Satz neuer Ruinen umfassen. Als „ignorierwürdig“ bezeichnen wir in diesem Fall beschäftigungstherapeutische Glücksspielmaßnahmen à la Black Jack oder Einarmiger Bandit, die uns kein Stück länger ans Ödland zu fesseln vermögen.
Adrenalinlevel: Sonntagsfahrt
Die eigentlichen Probleme des russischen Old-School-RPGs beginnen jedoch ganz woanders – und zwar gleich am Anfang. Sicherlich ist es irgendwo noch verzeihbar, dass sich unser (in etwa der Mondschwerkraft ausgesetzte) Protagonist wie an Oberschienen hängend durchs Ödland bewegt. Dass aber das ganze Spiel einer Vergnügungsfahrt mit der Wuppertaler Schwebebahn gleicht, wird für den Patienten kritisch.
Wir durchqueren das Ödland nämlich nicht nur faktisch Station für Station, sondern auch gefühlt. Außerdem macht es keinen Unterschied, ob wir uns nun im blechtrümmernen Forstadt mit einem Soldaten über die militärische Gesamtlage oder in Wuppertal-Vohwinkel mit einer Rentnerin über das Wetter unterhalten. In beiden Fällen wollen wir einfach nur nach Hause, was in der virtuellen Welt leider nicht möglich ist.
Und so müssen wir uns wohl oder übel auch noch mit dem Samstagabend-Bahnhofsmilieu herumschlagen, das in Krai Mira durch mehrere rivalisierende Gangs repräsentiert wird. Ganz wie am echten Bahnhof hat jede dieser kriminellen Truppen ein eigenes Revier und jede Menge Bedarf an harten Muttern – anders gesagt an harter In-Game-Währung in Form von achteckigen Schraubengegenstücken.
Eingefordert werden diese u.a. über Wegzoll und über Nutzungsgebühren für Gleisfahrzeuge, wobei es uns nicht immer gestattet ist, eine gangeigene Ödland-Draisine zu benutzen. In so einem Fall helfen nur noch schlagkräftige Argumente, die wir meist in Gestalt nicht modifizierbarer Stich- und Schusswaffen mit uns führen. Auch unsere öfters wechselnden Begleiter wären wohl argumentativ einsetzbar, wenn sie uns nicht bloß nach Laune zu Diensten stünden.
Es ist fast schon so, als würde sich die neue, verbesserte KI auf einem „Kommste heut nicht, kommste morgen“-Algorithmus ausruhen. Wir können nämlich noch so laut auf vermeintlich linksextremen Bürstenköpfen herumklopfen: Selbst nach einem Viertelminütchen tut ein Teil unseres Gefolges immer noch so, als würde es einen Weg in die Schlacht suchen. Dennoch – es soll sie geben, diese außerordentlich günstigen Sternenkonstellationen, die eine Komplettversammlung vor dem Gegner bewirken. Und dann wird immerhin wahrnehmbar (in nicht allerbester Fallout-Manier) geprügelt und geschossen.
Camera Brutala
Unity-Engine-„Nazis“ bekommen mit Krai Mira wieder einen besonders saftigen Brocken hingeworfen. Allerdings wussten TallTech studio die immerhin entwicklerseitig beliebte Technologie durchaus zu nutzen – wenn auch nicht auf dem Level eines Narcosis oder eines Empyrion. Hervorzuheben wären die selten ruckelnde Hintergrundgrafik sowie die oftmals scharfen Objekttexturen, während der nähere Blick besonders im Bereich der Charaktermodelle wahres Grauen zutage fördern kann.
Als äußerst unschön erweist sich auch die Intention des Kameramanns, jede noch so kleine Höhenveränderung unseres Charakters gnadenlos mitzuverfolgen. Mutter Natur hat Ersteren nämlich mit der Reaktionszeit einer Katze ausgestattet, was in Kombination mit bodenwelligen Strandgebieten zu Augenbeben der Stärke 4,5 führen kann. Für mittelstarkes Augenrollen indes sorgt die zuweilen großräumig verpatzte Objekterfassung, die gerne auch bei fortschrittsrelevanten Vehikeln, wie z.B. einem „Floß“, zum Tragen kommt. (Das geht … Nein. Doch! Oh!)
Fazit: Erweiterte Langeweile
Bei allem ist es Krai Mira deutlich anzumerken, dass es Rostyslav Kravtsivs Team um einen würdigen Fallout-Erben ging – nicht um den schnellen Rubel. Dabei heraus gekommen ist kein professionelles Hochglanzprodukt zur Beachtung durch die New York Times, sondern ein klassisches, rundenbasiertes CRPG von Fans für Fans.
Gut! Was allerdings werden jene Fans an der Spitze der Zutatenliste für neue Ödlandabenteuer à la Interplay sehen? Es ist natürlich die Atmosphäre – die Krai Mira leider völlig fehlt. Denn so sehr sich Musiker Koczewski vielleicht auch bemühte, die grundsätzlich stimmungsvollen Ruinen der „Weltregion“ ins rechte Licht zu rücken: Seine klangliche Untermalung wirkt beinahe so beiläufig, wie das gesamte Kampfgeschehen.
Des Weiteren leidet der Patient unter akutem Mangel an Vitamin C (wie Charakterentwicklung) und D (wie durchdachte Story), sodass sich Fallout-Fans binnen kürzester Zeit abwenden dürften. Auch der moderate Steam-Preis von gegenwärtig 11,99 Euro wird kaum jemanden die Tatsache verzeihen lassen, dass die Begleiter des aufgepumpten Protagonisten im wahrsten Sinne nur zum Hinterherlaufen gut sind.