Red Dead Redemption 2 zeigt den Wilden Westen von einer etwas realeren Seite – und ist damit bei manchen angeeckt. Ich persönlich finde Rockstar’s Vorstoß super, vermisse aber Pflichtbeigaben wie (Maul-)Esel, Goldstaub und Gringos.
Bislang waren Wild-West-Spiele immer so etwas wie interaktive Mythen. Es ging um schmutzige Outlaws, tödliche Duelle im Morgengrauen, auf Sicht skalpierende „Rothäute“, und – ganz manchmal – luftig gekleidete Saloon-Mädels.
Red Dead Redemption 2 verschmäht solche Zutaten nicht, lässt die Dose Bohnen am Lagerfeuer aber trotzdem anders, sehr authentisch schmecken. Nur: Wer A schreit, der muss auch B schreien. Oder in diesem Fall G wie Gold.
Der Ruf des Goldes
Die Sache ist nämlich die: Der Protagonist Arthur Morgan reitet, schießt und säuft sich durch die „Vereinigten Staaten“ des Jahres 1899, als der Goldrausch nicht nur am Klondike River in Kanada, sondern auch im US-Staat Georgia einen neuen Höhepunkt erreicht hatte. Sozusagen also in der Gegend in und um Lemoyne, wo neben dem eindrucksvollen Saint Denis auch die Siedlung Rhodes (Standort meines Blackjack-Stammtischs) zu finden ist.
Aber was ist dort vom Goldfieber zu sehen? Genau: Nix. Wobei ich von diesem Jahrhundertereignis nicht nur etwas sehen möchte, da bin ich frech. Ich möchte daran teilnehmen können, was in Red Dead Redemption 2 generell nicht möglich ist.
Denn die industrielle Mine in Annesburg wie auch die Versteckte Goldmine sind – aus Goldgräbersicht – so interaktiv wie ein eingefrorenes Windows. Ich möchte ja nicht an die (ohnehin fast leeren) Hosentaschen verblichener Minenarbeiter, sondern an das gelbe Metall. Aus zwei Gründen.
Potential zu verschenken
Einerseits, klar, will ich ein stinkreicher Mann werden. Im wirklichen Leben hat das für mich nämlich nicht geklappt. Andererseits fehlt es mir in Arthur’s Welt an halbwegs erfüllenden Nebenbeschäftigungen. Spontane Pferderennen von A nach B, Hufeisenwerfen, Flaschen oder Vögel zerschießen – wen lockt denn so etwas noch hinter dem Ofen hervor? Ich für meinen Teil müsste mich wohl lobotomieren lassen, um an derlei Minispielchen Spaß haben zu können.
Viel besser wäre da die Implementation der damals zeitgenössischen Muli-Züge; also mit Goldstaubsäcken beladene Esel, die von glücklichen Goldgräbern zur nächsten Bank getrieben wurden. Mit denen ließe sich nämlich einiges anstellen. Sie wären nicht nur eine klasse Alternative oder Ergänzung zu den völlig ausgelatschten Bank- und Zugüberfällen. Ihre ständigen Begleiter – meist mexikanische Banditen mit sexy Zahnlücken – ließen ebenso die Beschützerrolle zu.
Noch interessanter würde die Sache natürlich als Inhaber der kostbaren Mulis, angefangen beim Durchsieben hoffentlich goldhaltiger Flüsse. Das klingt ein wenig nach Beschäftigungstherapie, hat aber durchaus (Sub-)Storypotential, spätestens mit einem moralisch flexiblen Begleiter im Gepäck. Denn bei Gold hört bekanntermaßen die Freundschaft auf.
Genauso wenig muss es einschläfernd sein, mit der Spitzhacke Nuggets aus einem Berg zu klopfen. Eine Mine ist mitnichten ein Ponyhof. Sie kann krachend einstürzen, dem Glücksritter auf die Füße fallen, bissige Wildtiere beherbergen, die Dalton-Brüder auf ein Faustgespräch einladen – es gibt viele Möglichkeiten. Und vor allem gibt es keinen echten Grund mehr, all dies in einem Open-World-Western-Spiel außen vor zu lassen.
Inkonsequente Weiterentwicklung
Schon Red Dead’s Genre-Kollege GUN hatte begriffen, dass wir Menschen virtuelles Gold lieben. Nur herrschten vor 14 Jahren, logo, ganz andere Umstände. Ein Entwickler oder Publisher konnte es sich schlicht nicht leisten, 3023 Leute vor die Kutsche zu spannen, denn ja: so viele Köpfe waren an der Entwicklung von Red Dead Redemption 2 beteiligt.
Trotzdem hatte auch GUN Minispiele wie Viehtreiben, Kopfgeldjagd, „Gesetzeshüter“ und ein Poker-Tunier; im Grunde dasselbe wie die zweite Ausgabe des Western-GTAs. Anstatt also das Wild-West-Genre nur im Großen auf die nächste Stufe zu heben, hätte Rockstar auch die Nebenbeschäftigungen entmüffeln sollen. Mithilfe des amerikanischen Goldfiebers.