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Mit The Overdreamer liefert der Ungar Tamas Harsanyis einen schocktherapeutischen Ansatz zur Bekämpfung urtümlichster Kinderängste, denn in diesem Horror-Adventure wird nicht subtil unter Betten geschmatzt. Stattdessen bekommt es die kaum parkuhrgroße Protagonistin Niki mit Monstern zu tun, die so gemein sind, dass sie Ronald McDonald glatt dazu zwingen würden, sich im Rahmen eines Kindergeburtstags zu erhängen. Ein Unmensch, wer zweidimensionale Mini-Mädchen in dieser Situation alleinlassen würde…
Zur Sache, bitte!
Wie üblich mit Maus und Tastatur bewaffnet, eilten wir der kleinen Niki also prompt zur Hilfe – und waren überrascht, wie schnell wir sie zu unserem Schützling erklären konnten. Als gäbe es mittlerweile eine gesetzliche Regelung zur maximalen Bearbeitungszeit von „New Game“-Anfragen in Spielen, lieferte uns The Overdreamer den bestellten Spielstart quasi sofort: Meine Damen und Herren, der Intro-Film muss aus verklausulierten Gründen heute leider entfallen. Also wirklich!
Das einzige einleitende Element ist ein über den Startbildschirm rasender, pechschwarzer Kondensstreifen, dessen genaue Bedeutung oder Funktion zunächst unklar ist. Wie eine Pommes Majo im Looping-Restaurant schnellt bzw. eiert er vom Nachthimmel aus gen Erde, um dort im Bett eines purpurnen Mädchenzimmers zu liegen zu kommen. Ob er daraufhin zu Niki höchstpersönlich wird oder einfach nur die Sicht auf sie freigibt, ist ein weiteres großes Rätsel der Menschheit. Ihr könnt jedoch insofern beruhigt sein, als sich Rätsel dieser Art in den kommenden acht bis neun Stunden in Grenzen halten werden.
Davon ab ist es nun sowieso erst einmal an der frisch erwachten Niki, fragend in ihr plattes Zimmer zu starren. Irgendetwas ist nämlich anders als sonst; die Bilder an den Wänden zum Beispiel. Wo vorher womöglich Poster von Marilyn Manson und Rob Zombie Angst und Schrecken verbreiteten, blenden jetzt Nikis Kindergartenbilder die Augen eines jeden Kunstliebhabers. Niemals würde sie ihre Frühwerke derart schamlos an ihren Zimmerwänden veröffentlichen, doch nun hängen sie da. Wer war das? Und wieso ist eigentlich die Tür abgeschlossen?
Weit mehr als nur Geklicke
Ganz einfach: Der Entwickler nutzt das Zimmer der Protagonistin als Basis-Tutorial – und schon hier wird deutlich, dass es sich bei The Overdreamer um kein gewöhnliches Point-and-Click-Adventure handelt. Das kleine Fräulein steuert sich nämlich fast schon wie ein Call-of-Duty-Veteran, wobei die Tasten W und S die Kamera nach oben oder unten schwenken lassen. Auf diese Weise können wir unsere Sprünge besser abwägen, womit auch gleich vorweggenommen wäre, dass Tamas nicht mit Platformer-Elementen gegeizt hat.
Es gibt sogar Momente, in denen wir befürchten, das Spiel könne etwas zu sehr in Richtung „Niki in Monsterland“ abdriften, da das Einsammeln von merkwürdig leuchtenden Pilzen normalerweise Chefsache, sprich, die Sache Wonderboys oder auch Alice Liddells ist. Diesen Befürchtungen zum Trotz versteht es Mr. Harsanyis aber, das Ruder im jeweils rechten Moment wieder herumzureißen, sodass wir uns stets in einem schnuffelig-brutalen Horrorspiel fühlen – auch dann noch, wenn dem Multitalent die gelegentlich gefrühstückten Clowns nur allzu sichtbar aufstoßen (Stichwort: „Spinnenkostüm“).
Apropos: Spinnen verhalten sich zu The Overdreamer wie leggingstragende Mandys zu RTL-Doku-Soaps. Selbst Rollenspielspinnen wären gerne so prominent wie Tamas‘ Sammelsurium achtbeiniger Scheußlichkeiten, das vom Spinnen-Kokon bis zum gestandenen Tarantula-Senioren so ziemlich alles beherbergt. Gerne werden Arachnophobiker mit der zumeist verfügbaren Machete um sich schlagen oder – unerlässlich bei besonders großen Spinnen – unterwegs gefundene Gegenstände zu Giftködern kombinieren. Hierzu unterstützt das ausklappbare Inventar mit Drag and Drop.
Wer hat Angst vorm Boogeyman?
Auf unserem Trip durch den albtraumhaften Untergrund werden wir allerdings noch weitaus schlimmeren Gegnern zum Fraß vorgeworfen, etwa dem ultrabösen, kinderzerfetzenden Boogeyman. Sein Auftreten ist meist mit Survival-Horror-typischen Fangen- und Versteckspielchen gekoppelt, die erst in Verbindung mit zuvor erwähnten Platformer-Passagen so richtig durchstarten. Spätestens hier werden wir die Auto-Save- sowie die Freies-Speichern-Funktion schätzen lernen. Passend zur „Shooter-Steuerung“ können wir mittels der F5-Taste sogar schnellspeichern.
Bei all diesen Wohltaten bleibt trotzdem immer noch die Frage, wo genau wir uns befinden – und wieso wir uns eigentlich durch die grafisch nette, manchmal jedoch etwas detailarme Unterwelt grübeln. Zwar können wir anhand gelegentlich auftretender Flashbacks die eine oder andere Mutmaßung anstellen, wie z.B. einen schweren Autounfall mit Komafolge. Klarheit suchen wir aber lange Zeit vergebens, denn The Overdreamer fokussiert sich beinahe gänzlich auf das herrlich ruckelfreie Hier und Jetzt.
Und das ist, nicht zuletzt dank des abwechslungsreichen Gameplays, überhaupt kein Problem. Auch der seltene Kamera-Bug, welcher Niki einen ganzen Bildschirm zu tief wähnt, fällt dank Auto Save kaum ins Gewicht. Ein echtes Problem hingegen sind des Entwicklers Sparmaßnahmen hinsichtlich Sound und Musik, die teils in abgehackten Low-fi-SFX oder völliger Stille resultieren. Wir möchten Tamas raten, beim nächsten Projekt von Free-Sound-Sites abzusehen und einen erfahrenen Musiker ins Boot zu holen. Ein solcher hätte The Overdreamer problemlos in die erste Genre-Liga manövrieren können.
Fazit: Ein soundarmes Hidden Gem
Im Ring der 2D-Horror-Adventures macht The Overdreamer überraschend viel Druck: Top-Titel wie Fran Bow oder Detention müssen die Herausforderung klar akzeptieren. In der Kategorie Gameplay den Titelverteidigern deutlich überlegen, geht die niedlich-gruselige Boogeyman-Saga letztlich aber doch zu Boden – geschlagen von der storytechnischen Ausdauer sowie der atmosphärischen Überlegenheit der Konkurrenten.
So bleibt der blutige Adventure-Platformer vorerst wohl ein Geheimtipp, den Indie-Horrorfans in jedem Fall beherzigen sollten; gerade zum relativ niedrigen Steam-Preis von aktuell zehn Euro. Wir für unseren Teil sahen den Betrag schon nach etwa zwei Spielstunden gut angelegt.