Im Test: Die Windows-Version
Mit White Day: A Labyrinth Named School erschien vor 16 Jahren nicht nur die Referenz in Sachen Korea-Horror. Der paranormale Schocker aus dem Hause ROI Games pionierte auch die von Amnesia losgetretene Wehrlosigkeitswelle. Am 22. August erschien nun ein Remake des mittlerweile dreifach zensierten Klassikers. Wir fragen uns: Kann ein Schocker eigentlich noch schocken, wenn man ihm fast alle Zähne zieht?

Ein Parfüm-Werbespot mit Kaltfilter
Kameraschwenk: Auch im Remake ist es der 13. März 2001, als der hagere Protagonist Hee-Min Lee das Gelände der Yeondu High School betritt. Gespannt lässt der immersionsfördernde Stummling seinen Blick über den hübsch bepflanzten Hof schweifen: Würden ihn seine neuen Mitschüler wohl akzeptieren? Und gibt es vielleicht ein paar hübsche Mädchen hier? Aber hallo, antwortet da prompt eine Sitzbank – siehst du den leckeren Bücherwurm auf mir?
Der Bücherwurm ist die 16-jährige So-Young Han, und Hee-Min Lee, wie alle Knaben, will Miss So-Young gerne haben (frei nach Wilhelm Busch). Allerdings ist dies hier nicht die Chanel-Realität, welche das Mädchen sofort aufspringen, mit Hee’s Brust näseln und ihn geradewegs in ihr Himmelbett tragen ließe. Nein, dies ist eine andere Realität … Eine Welt, Suzie Grimes Kopf entsprungen. Doch siehe da, ein Stern am Himmel, oder vielmehr ein vergessenes Tagebuch auf der Bank. Was meinst du, Hee-Min; wäre das nicht der perfekte Anlass für ein baldiges Wiedersehen?

Der Junge verjeint, denn morgen ist White Day, eine in Japan und Südkorea real zelebrierte Valentinstagerweiterung. Sie legitimiert neben der abendlichen Erstürmung von Schulgebäuden auch das süße Befüllen von Schulbänken – Hee-Min könnte So-Young nebst dem Tagebuch also einige schmackige Süßigkeiten auf den Tisch legen. Eine Einladung zu einem Umwerbungsgespräch wäre ihm auf diese Weise fast sicher, da asiatische Frauen in der Regel zusammen mit der Schokolade schmelzen, die man ihnen schenkt. In diesem Sinne: Gedacht, gemacht.
Geisterrunde, Geisterstunde…
In der Rolle des schwulstbrüstigen Junghahns lassen wir also die Schultür hinter uns ins Schloss krachen und schnappen uns erst mal eine herumliegende Schülerzeitung. Diese enthält nämlich eine exakte Lagekarte der insgesamt vier Schulgebäude – extra für Neulinge wie uns. Doch was müssen wir denn da durch unsere rosarote Brille sehen? Eine Okkultismus-AG? Was macht man denn bitte schön in einer Okkultismus-AG…? Vielleicht Geister beschwören? Dass wir nicht lachen! Es gibt keine Geister, das weiß doch jeder.

Doch kaum sind wir ein paar Schritte gegangen, konfrontieren uns zwei Mitschülerinnen mit den merkwürdigsten Schauergeschichten: So soll die Yeondu High einst ein Lazarett und Schauplatz unsäglicher Gewaltverbrechen gewesen sein. Die Opfer seien gar derart brutal misshandelt worden, dass sie – erfüllt von Rachegedanken – bis heute als Geister durch die Schule spuken. Jaja. Hätten die Mädels während ihrer Erzählungen ein Lagerfeuer aufbauen und entzünden können, hätten sie es wohl getan; entsprechend nicken wir bloß kurz und ziehen weiter.
… Aber nicht weit: Unter dreckigem Lachen präsentiert uns ein unheimlicher Hausmeister seinen beachtlich dicken Baseballschläger – zweifellos gewillt, das Sportgerät todbringend gegen uns einzusetzen. Was zum Teufel…? Hals über Kopf rennen wir fort und retten uns knapp in die Mädchentoilette, wo wir geduckt in einer der Kabinen ausharren. Wird uns dieser Irre noch entdecken? Stampfend betritt er das stille Örtchen, leuchtet mit seiner Taschenlampe, zweimal, dreimal, dann ein Grummeln. Er hinkt wieder hinaus, wenn auch langsam. Was ist nur mit dieser Schule los?
Yeondu: Die High School des Todes
Wir werden es herausfinden, wenn wir nun in der First-Person-Perspektive die gesamte Anstalt auf den Kopf stellen. Meist mit einem der zwei Hausmeister im Nacken, wühlen wir uns durch Notizen, schulinterne Dokumente und sogenannte Geistergeschichten, die von der Okkultismus-AG zu Papier gebracht wurden. Schnell wird uns klar: mit etwa 20 Fällen von Selbstmord könnte diese High School nicht nur die koreanische Außenstelle des Suicide Circles sein. Gerüchte um ein Labyrinth unterhalb der Schule lassen diesen Ort ganz wie einen Hotspot des Bösen erscheinen.
Sollte es hier also wirklich spuken? Na, und ob! Auf unserer jetzt nicht mehr ganz so süßen Mission werden wir weit mehr Geistern begegnen, als White-Day-getriebenen Teens. Dennoch sind die Begegnungen mit letzteren von entscheidender Bedeutung, zumal die mit ihnen verbundenen Dialoge darüber entscheiden, welches der insgesamt acht Spielenden wir letztlich zu sehen bekommen. Ferner werden wir zu allen Charakteren des Spiels (insbesondere zu So-Young) Position beziehen müssen – und je nachdem, auf wessen Seite wir uns schlagen, kann dies unmittelbare Auswirkungen auf den Spielverlauf haben.

Stellen wir uns etwa mit der herrisch veranlagten Kim Seong-a gut, wird sie unseren Hauptverfolger, den netten Hausmeister, so manches Mal via einer harten Tür zu stoppen wissen. Streicheln wir hingegen Seol Ji-hyeon’s schlaues Köpfchen, hält uns diese ab und an sämtliche Plagegeister vom Leib. Dazu genügt dann ihre bloße Anwesenheit, denn das White-Day-Regelwerk besagt, dass wir in Begleitung eines anderen Charakters weder von Hausmeistern noch von Geistern angegriffen werden dürfen. Ein Akt der Gnade, der uns insbesondere beim Lösen der bockschweren bis „europäerfeindlichen“ Rätsel sehr zugute kommen wird.
Original versus Remake
Doch so schön wir bis hierhin vielleicht auch geschrieben haben mögen: Das alles wussten Kenner des Originalspiels bereits. Inwiefern ist das Remake also anders? Als erstes wurde – natürlich – die Custom-Engine der Urversion über Bord geworfen und durch die Unity Engine ersetzt. Ihr braucht eure Gesichter jedoch gar nicht erst in Falten legen, denn es war (okay, ein wenig auch zu unserer Überraschung) die richtige Entscheidung. Zwar hätte eine Unreal Engine 4 hier die weitaus bessere Effektsektion stellen können. Die Seele(n) des Originals hätte sie aber höchstwahrscheinlich nicht transportieren können.

Das mit dem Enginewechsel einhergehende Grafik-Update hingegen stellt uns nur bedingt zufrieden. Während die Protagonistinnen und neue Geister wie Kyoung-hee (Bibliothek) oder Eun-ah (Musikverständnisraum) restlos überzeugen, stürzt uns die altbackene Umgebungsgrafik in mittelschwere Depressionen. Ebenfalls mit gemischten Gefühlen lauschen wir der an sich starken Soundkulisse, da sie viele wichtige Originalsounds erklingen, die allerwichtigsten jedoch vermissen lässt. So ist z.B. das berühmt-berüchtige Schlüsselklimpern der Hausmeister nun leider kaum mehr wahrnehmbar.
Die wichtigste Neuerung im White Day Remake stellt dann die neue Protagonistin Yoo Ji-min dar – ein scheinbar ahnungsloses Mädchen, das im Schulgebäude ein wenig umher spaziert. Tja, und das ist Grund zur Freude, sollte man meinen, doch in Wahrheit werden wir für sie durch die Hölle gehen müssen. Ihr Erscheinen ist nämlich an eine bitterböse Bedingung gekoppelt: das Abschließen des Spiels auf höchstem Schwierigkeitsgrad. Moment mal, was soll das denn sein – Fake News? Ein Aprilscherz im September vielleicht…? Nein, weder noch. Das nennt man „Steigerung des Wiederspielwerts nach Korea-Art“. So glauben wir zumindest.

Fazit: Fast unzerstörbar
Einfach per Doppelklick startbar, schönere Grafik, erweiterte Story: Das White Day Remake schickte sich an, die Originalversion für immer zu verdrängen. Doch was ist denn das? Der dunkelheitsliebende Krabbelgeist krabbelt bei voller Beleuchtung auf uns zu? Der unfassbar gruselige Kratzgeist ist jetzt nur noch ein kratzbürstiges Jumpscare-Gesicht? White-Day-Kenner sind nicht erfreut, denn sie wollen unter keinen Umständen geschont werden. Sie wollen die Kompromisslosigkeit und die Obskurität des Originals, ohne Rücksicht auf die westlichen Märkte. Warum also, ROI Games – warum in Zeiten von Agony und DOOM?
Dennoch, und das ist das Wundersame, hat die Geschichte um die Yeondu High School unter dem Strich kaum an Atmosphäre eingebüßt. Vielleicht ja deswegen, weil ganz viele kleine Zähne auf Dauer denselben Schaden anrichten können, wie einige wenige große. Insofern erscheint uns ein Neubesuch der suspekten Büffelbude durchaus lohnenswert; auch zum gegenwärtigen Steam-Preis von 27,99 Euro. Bis dem finsteren Gebäudekomplex nämlich auch das letzte Geheimnis entlockt ist, können gut und gerne 25 Stunden vergehen. Die mit Yoo Ji-min verbundene Content-Erweiterung sorgt darüber hinaus für einen hohen Wiederspielwert.