The Evil Within ist ein Spiel von Shinji Mikami, und diesen Namen möchte man als Spieledesigner nicht bedingunslos haben. Wenn nämlich Resident Evils Papa mit einem „neuen“ Zombiespielchen um die Ecke kommen will, muss er uns Zockern mindestens die nächste Survival-Horror-Offenbarung servieren. Und zwar auf einem goldenen Tablett.
In diesem Sinne: Wir sitzen schon alle, Shinji. Bring’ ihn mal her, den neuen Hauptgang. Ja, hier hinten sitzen wir! Ach, The Evil Within? Das klingt ja schon mal vielversprechend. Das Beste aus Resident Evil mit einer Füllung aus Silent Hill und verbranntes Fleisch als Beilage? Stell’ ab, du hast uns am Haken.
Hand aufs Herz: Die Resident Evil zugrunde liegende Story bewegte sich allenfalls auf dem Niveau klassischer Spukhund- und Spukhaus-Romane des frühen 20. Jahrhunderts. Da zeigt sich Mikamis jüngstes Werk schon einen Hauch innovativer, indem es das Böse im Menschen ansehnlich nach außen krempelt und mal so richtig durchregieren lässt. Ihren Anfang nimmt die Regentschaft des Bösen allerdings wieder einmal in einer Nervenheilanstalt – wo sich Kreativität und Innovation dauerhaft gute Nacht sagen.
Erwähntes Auffangbecken für psychisch Kranke steht in Krimson City, was vermutlich mit „blutrote Stadt“ zu übersetzen ist. Das Besondere am Krimson-Madhouse: alle Patienten und Mitarbeiter sind tot; ebenso die erste Welle Polizisten, die zur Untersuchung des Massenmords angerückt war. Wir übernehmen die Rolle von Detective Sebastian Castellanos, der nur allzu schnell dem Initiator des ausgiebigen Schlachtfests gegenübersteht bzw. hängt ... Und das nicht ohne VIP-Einladung.
Was solls – mit beherztem Schnellschlagen der Interaktionstaste befreien wir uns aus der Rolle des Schlachtviehs, um danach auf den Spuren Sam Fishers den Gastgeber näher in Augenschein zu nehmen. Unangenehmer Weise handelt es sich dabei um einen brüllenden Fleischberg mit Kettensäge, der uns bei Sichtkontakt schnell sein persönliches Motto näher bringt: Alles Rote muss schnellstens raus aus dem Körper. Die Operation erfolgt ohne vorherige Absprache und erfordert nicht die Zustimmung des Patienten oder seiner Angehörigen.
„The Butcher“ – wider Erwarten übrigens nur ein kleineres Rad im Getriebe von The Evil Within – ist aus gutem Grund zunächst unverwundbar. In den ersten Minuten werden wir an alle überlebensnotwendigen Stealth-Techniken des Spiels herangeführt: Wir schleichen, nutzen die Vorteile der meist dunklen Umgebung, verstecken uns unter oder in Möbelstücken und starten das eine oder andere Ablenkungsmanöver. Insbesondere Flaschen werden wir schätzen lernen, da lautes Klirren die Aufmerksamkeit von uns lenkt und tödliche Hinterrücksangriffe auf Gegner ermöglicht. In diesem Fall beenden wir die Existenz bösartig gewordenen Lebens mit nur einem einzigen Stich in den (autsch) Kopf.
Bevor wir allerdings non-stop Stacheldraht-Zombies messern dürfen, werden wir einigen Story-Verwirrungen ausgesetzt. So fällt nach erfolgreicher Krankenhausflucht erst mal die ganze Stadt in sich zusammen und eine bedeutsame Geisterscheinung namens Ruvik befördert uns in eine alternative Krimson-Realität. Ihr Ausgangspunkt scheint ein gesonderter Teil des offenbar verfluchten Krankenhauses zu sein, in dem sich eine merkwürdige Krankenschwester um unsere Belange kümmert. Dazu zählen auch Upgrades für unsere Waffen und unser Alter Ego, die völlig glaubwürdig mittels eines elektrischen Stuhls appliziert werden. (Ja, wir lieben Japan.)
Hier haben es die Eltern wohl versäumt, auf die Gefährlichkeit von Stacheldraht hinzuweisen. (Rendersequenz)
Es ist ganz schön was los im alternativen Krimson und Umgebung, wenn auch nicht erzählerisch. Meist stecken wir unser Näschen nur in schmutzige Tagebücher, die in der Regel Erinnerungen des oft humpelnden Detectives enthalten. Denn in diesem Punkt ist The Evil Within halbwegs realistisch: Je mehr Sebastian auf die Glocke bekommt, desto schwankender ermittelt er. Ab und an muss er sich deshalb Medi-Spritzen in den Arm rammen, die meist in etwas verdeckteren Level-Winkeln herumliegen und nur in begrenzter Anzahl mitführbar sind. Dies gilt übrigens auch für andere Items und Munition, sodass wir die mitunter taschenerweiternden Eigenschaften des elektrischen Stuhls gar nicht oft genug beanspruchen können.
Sobald das anfängliche Schlauchdesign dankenswerterweise größeren Außenleveln weicht, offenbart sich eine der Kerngemeinheiten des Spiels: Fallen. Ob wir gerade das Innere eines Hauses erforschen, oder im Freien hinter einem Pferdekarren Schutz suchen – überall kann ein (explosives) Stolperdrähtchen lauern; an jedem Objekt kann eine bewegungssensitive Bombe befestigt sein.
Lust auf etwas Nervenkitzel? Dann werdet ihr das Minispiel zur Bombenentschärfung lieben, bei dem ein rotierender Zeiger innerhalb eines schmalen blauen Feldes zum Stillstand gebracht werden muss. Kein Problem, sagt ihr? Wäre es vielleicht auch nicht, würde der Zeiger nicht unmittelbar nach Anwahl der Bombe aufs „Stoppfeld“ zurasen. Eine zweite Chance gibt es nicht – hat der Zeiger das Feld passiert, macht es augenblicklich (und verdammt schmerzhaft) „Bumm“.
Fern der Entschärfung oftmals tödlicher Sprengfallen wird der Evil-Within-Alltag von der Suche nach kleinen grünen Fläschchen bestimmt. Was zunächst vielleicht nach Xtreme-Pfandsammling mit Gefahrenzuschlag oder stupider Open-World-Beschäftigungstherapie klingt, dient in Wahrheit der rudimentären Charakterentwicklung. Denn erwähnte Fläschchen enthalten neben einer grüner Flüssigkeit auch wertvolle Upgrade-Punkte, die bei jeder Upgrade-Exekution eingelöst werden müssen. Wie tief wir dabei in unsere Punkte-Tasche greifen müssen, hängt natürlich von der jeweiligen Verbesserung (und ihrer Stufe) ab. Eine Verkürzung der Pistolen-Nachladezeit beispielsweise bekommen wir anfangs fast geschenkt. Wollen wir aber eine Stufe-3-Erhöhung unserer Lebensenergie, müssen wir beinahe schon eine Sammelleidenschaft entwickeln.
Bei allen In-Game-Gemeinheiten ist das, was Mikami-sensei uns hier aufgetischt hat, durchaus schmackhaft. Angesichts der atmosphärischen und ausgesprochen detaillierten Optik nicken selbst unsere Augen wohlwollend, doch leider nur bis zum ersten Schritt. Als sei unser Kameraverfolger nämlich eine Primaballerina mit gelegentlichem Tunnelblick im Frühstadium, lässt er holprig erscheinen, was nicht holprig ist. Das ist schade und muss nicht sein, wie z.B. Spieler von Remedys Alan Wake wissen. Das vermeintliche Steven-King-Tribut aus dem Jahre 2010 fühlt sich in den meisten Situationen eine ganze Ecke besser an.
Des Weiteren fällt die etwas launische Objektanvisierung ins Gewicht, die uns so manches Schrankversteckspielchen gehörig versauen kann. Auch wissen wir manchmal nicht so recht, was das frisch gezückte Streichhölzchen in unserer Hand gleich entzünden wird. Ist es diese gammelige Zombieleiche, die über uns am Gebälk baumelt, oder doch das quirlige Hausschwein darunter? Pixel- bzw. Polygon-Tierschützer dürften im Falle einer solchen Fehlwahl genervt den letzten Checkpoint laden, der – je nach Spielstil – gut und gerne bis zu 30 Minuten zurückliegen kann.
Eine neue Angstinjektion für Horrorjunkies ist The Evil Within eindeutig nicht. Shinji und sein Team von Tango Gameworks bedenken uns vielmehr mit einer Portion Silent-Hill-Krankhorror, der zu keiner Zeit nennenswert vertieft wird. Seine Stärken und Momente hat das Werk eher als dunkler Stealth- und Action-Hybrid, der nach einer langen (und nicht als solcher gekennzeichneten) Tutorial-Phase allmählich Fahrt aufnimmt. Gefühlt beginnt das eigentliche Spiel erst mit dem dritten der insgesamt 15 umfangreichen Kapitel.
Besonders im Rahmen von Mini-Sandkästen (wie z.B. einem kleinen Dorf) erreicht die Mischung aus Schleichen, Resident-Evil-typischem Ballern und Fallen entschärfen ihren maximalen Spaßfaktor. Allerdings nie sonderlich lange, denn immer wieder zwingt uns das Spiel dazu, mit dümmlichem Interaktionstasten-Getacker den entwicklungstechnischen Totalstillstand zu zelebrieren. Es ist beinahe wie vor 33 Jahren, als wir im Rahmen fragwürdiger 8-Bit-Rüttel-Olympiaden dem Feuerknopf unseres Joysticks das Leben aushauchten – und welcher Schlusssatz wäre demnach passender als: Der Joystick ist tot, lang lebe der Joystick!