Nach einer Entlassungswelle bei Gamurs suchte der Gaming-Verlag einen „KI-Redakteur“, der von Chat GPT verfasste Artikel veröffentlichen sollte. Das Gesuch wurde inzwischen zwar entfernt, doch die Schreibbots haben den Entertainment-Sektor schon infiltriert.
Das ist passiert: Gamurs suchte kürzlich in einem Stellengesuch nach einem „KI-Redakteur“, dessen Aufgabe es gewesen wäre, unter anderem mithilfe von Chat GPT erstellte Artikel über Videospiele zu betreuen. Der australischen Mediengruppe gehören bekannte Gaming-Websites wie Destrucoid und Dot Esports an.
Chat GPT schreibt und der „Redakteur“ schaut zu
Laut der mittlerweile gelöschten Anzeige erwartete der Inserent von der ausgeschriebenen Person einen Output von 200 bis 250 Artikeln pro Woche. Diese hätten strategisch generiert und in Abstimmung mit einem Suchmaschinenexperten online gestellt werden sollen.
Gemäß dem Jobprofil hätte dem KI-Redakteur etwa das Schreiben von Überschriften, die Bebilderung von Artikeln sowie das Einfügen von Linkverweisen oblegen. Das Umschreiben der KI-verfassten Texte sei nur „gegebenenfalls“ nötig, hieß es in dem Gesuch weiter.

Die Berichterstattung vor allem seitens von Gaming- und themenverwandten Publikationen ließ nicht lange auf sich warten. Unter anderem zeigte sich „Futurism“ von dem angestrebten Text-Output negativ beeindruckt. Die New Yorker Technik-News-Site errechnete, dass die folgerichtig 50 Artikel pro Tag mit je 4,23 US-Dollar vergütet werden sollten. Zum Vergleich: Das Honorar für einen „handgemachten“ News-Artikel liegt im Allgemeinen zwischen 6 und 13 Dollar.
Entlassungsgrund Chat GPT?
Zuvor war Gamurs in die Schlagzeilen geraten, nachdem der Dot-Esport-Betreiber im März knapp 40 Prozent seiner Belegschaft entlassen hatte. Gefeuert wurden demnach um die 50 Personen; Indikatoren für die Kündigungswelle habe es im Vorfeld nicht gegeben, äußerten mehrere Ex-Mitarbeiter.
Als Gründe für die Entledigungen nannte Gamurs „betriebliche Ineffizienzen“ sowie den Zusammenbruch der Silicon Valley Bank. Die SVB war am 10. März infolge einer Kapitalkrise und eines „Bankruns“ innerhalb von 48 Stunden vollständig zusammengebrochen, woraufhin sie in die Hände der US-Aufsichtsbehörden überging.
In einer E-Mail an betroffene Freiberufler, die unseren Kollegen von Esports Insider vorliegt, erklärte Gamurs die Entlassungen wie folgt:
„Aufgrund mehrerer Faktoren im Zusammenhang mit dem kürzlichen Zusammenbruch der Silicon Valley Bank, die zu den GAMURS-Bankinstituten gehörte, sowie der Notwendigkeit, dass GAMURS seine betrieblichen Ineffizienzen deutlich verbessert, haben wir die Entscheidung getroffen, Ihre freiberufliche Tätigkeit für die GAMURS-Gruppe mit sofortiger Wirkung zu beenden.“
Dahingegen soll Gamurs-CEO Riad Chikhani gegenüber Kotaku per E-Mail geäußert haben, die Freisetzung des Personals sei das Ergebnis von „Ineffizienzen und der relativ schwachen Leistung bestimmter Inhalte“. Die „Einstellungswelle“ des Unternehmens „seit 2022“ sei so nicht länger tragbar gewesen. Der Zusammenbruch der Silicon Valley Bank blieb in dem Antworttext offenbar unerwähnt.
Gamur verzeichnete „rekordverdächtiges Wachstum“
Zu den offiziellen Angaben Gamurs bezüglich der Entlassungswelle will außerdem nicht recht passen, dass die Mediengruppe aus dem diesjährigen Ranking der Marktforschungsfirma Comscore, Inc. als Viertplatzierter hervorging. So teilte es die Firma via des Berufsnetzwerks LinkedIn mit – und warb zudem mit einem „Wachstum gegenüber dem rekordverdächtigen Jahr 2022“.
Im Schluss bedeutet das: Gamurs hatte die Kündigungen im März in besten wirtschaftlichen Verhältnissen ausgesprochen. Weder der von dem Verlag zitierte Crash der SVB noch die angebliche „Underperformance“ von Artikeln können bei der Entscheidung demnach eine Rolle gespielt haben. Aber was dann? Warum setzt ein erfolgreiches Unternehmen, das sich im Selbstlaut der „Neudefinition von Spielen und Unterhaltungsmedien“ verschrieben hat, Menschen vor die Tür?
Betrachten wir zur Beantwortung dieser Frage kurz die generelle Entwicklung. „IBM ersetzt Arbeitsplätze durch Künstliche Intelligenz“, „KI ersetzt Hunderte Übersetzer“, „Wenn die KI den Partner ersetzt“. Diese drei Schlagzeilen sind das bodenlose Ergebnis einer Google-Suche nach den Begriffen „KI“ und „ersetzt“. Und wen wundert diese Rückantwort im Jahr 2023.
Längst mehren sich auch die Meldungen über Texter, die für Chat GPT ihren Arbeitsplatz räumen mussten. Größere Aufmerksamkeit erregte hier der Fall der 25-jährigen Texterin Olivia Lipkin, die im Januar aus einem US-Tech-Startup gefeuert wurde.

Dem verlieh „Business Insider“ übrigens besonderen Nachdruck, indem er seinen Online-Artikel über Lipkin wie folgt unterstrich: „Wir testen zurzeit maschinelle Übersetzungen von Artikeln unserer US-amerikanischen Kollegen von Insider. Dieser Artikel wurde automatisiert übersetzt und von einem echten Redakteur überprüft.“
Die Zukunft hat schon begonnen
Doch eigentlich verlangt es Gamurs niemandem ab, bezüglich der Entlassungswelle eins und eins zusammenzuzählen. Die Antwort auf die Frage, weshalb der Verlag seine menschlichen Ressourcen minimiert, ist nämlich sogar auf dessen Website einsehbar:
„Wir sind bestrebt, unsere Strategien und Lösungen ständig zu erneuern. Wir glauben, dass wir die größte Wirkung erzielen können, wenn wir nicht nur unser Netzwerk erweitern, sondern auch unseren Lesern und Kunden etwas bieten, das sie noch nie zuvor erlebt haben.“
Nun hält die vermeintlich progressive Mediengruppe zwar insofern nicht Wort, dass sie ihren Lesern mit Chat-GPT-Artikeln etwas liefere, das sie noch nie zuvor erlebt haben. Allein „Newsguard“ – ein „Tracking-Center für KI-generierte Nachrichten“ – bestimmte Anfang Mai ganze 49 Nachrichten-Websites, die KI-generierten Content enthielten. Ganz neu ist diese Entwicklung also nicht.
Längst werden selbst ganze Websites gewissermaßen autark von KIs gefüllt und verwaltet, wobei sich diese Autarkie oft in skurrilen Überschriften niederschlägt. Wir alle haben es in diesem Kontext wohl schon einmal erlebt, dass eine unbekannte Website einen bekannten Menschen für tot erklärt. Meist sind es dann KIs, die mit ihrer Nachricht über seinen oder ihren Tod stark übertreiben.
Auch Chat GPT ist mitnichten eine neue Entwicklung. Schon vorher waren öffentlich verfügbare Chatbots wie „Replika“ (2017) dazu fähig, beeindruckende Geschichten zu schreiben und – aus Sicht vieler Nutzer – den Turing-Test zu bestehen.
KIs sind also zweifellos ein Rad, das sich weder zurückdrehen noch stoppen lässt, auch nicht im Journalismus. Chat GPT mag noch viele Schwächen zeigen, zum Beispiel dann, wenn es einen neutralen News-Artikel mit einem schillernden Agenturtext verwechselt. Wir sprechen hier jedoch über kleinere Parameter, deren Anpassung ein Leichtes darstellt.
Werden KIs die Newsrooms erobern?
Die Frage ist demzufolge nicht, ob uns unsere Spiele-News bald schon von künstlichen Intelligenzen serviert werden; die Frage ist, in welchem Maße es geschehen wird. Während den einen zur Vermittlung von Fakten ein Chatbot gut genug sein dürfte, werden andere sich an der unpersönlichen Note eines maschinell erstellten Textes stoßen.

Wie Journalismus angesichts dessen in Zukunft aussehen könnte, lässt an eine andere Entwicklung im Content-Markt denken. Dort probieren sich Videospieljournalisten an Community-finanzierten Website-Projekten, in deren Rahmen sie ihrer Arbeit unabhängiger nachgehen können. Mit Blick auf den Eroberungszug der KIs wäre ein ähnliches Szenario denkbar.
Denn einerseits wird sich unsere Spezies niemals durch technische Entwicklungen ihrer Kreativität berauben lassen; und anderseits trauen viele Menschen künstlichen Intelligenzen nicht genug, um Analysen und Einordnungen durch sie vornehmen zu lassen. Wer weiß, vielleicht wird der „menschgemachte“ Journalismus ja zur nächsten Schallplatte. Das Vinyl ist nämlich seit 1982 tot, doch in manchen Kreisen erfreut es sich noch großer, ja sogar wachsender Beliebtheit.
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