Murderous Muses vermischt das Deduktionsprinzip von Cluedo mit FMV-Clips der Marke The 7th Guest. So richtig genial wird der humorvolle „Kunst-Krimi“ aber erst dadurch, dass er die Rollen der Mordzeugen an lebendige Ölgemälde vergibt.
Murderous Muses im Test: In einer chaotischen Welt wie der unseren lobe ich mir die D’Avekki Studios, denn wo dieser Name draufsteht, da ist eine gewisse Beständigkeit drin. Ihr wisst nicht, wovon ich rede? Nun, ein D’Avekki-Spiel besteht immer aus einer eiskalten Leiche, qualitativ tollen FMV-Szenen und der Schauspielerin Aislinn De’Ath. Ja, immer! Auch das neue Spiel der Briten, Murderous Muses, pflegt diese Tradition, macht aber trotzdem etwas entscheidend anders als seine Vorläufer.
So besteht das mitunter witzige Krimispiel im Whodunit-Stil nicht allein aus interaktiven Filmszenen, sondern bettet diese in die nächtliche Stille einer spukhaften Kunstgalerie ein. Die kannst du in der Rolle des Nachtwächters frei begehen, um – und jetzt kommt’s – anhand von lebendigen Portraitgemälden einen Mordfall aufzuklären. Unser Test verrät, was dahintersteckt – und, ob das prozedurale Spieldesgin wirklich „unendlich“ viele Spieldurchgänge ermöglicht.
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Klemens Koehring statt Jonathan Frakes
Murderous Muses beginnt mit einer Ausgabe der fiktiven TV-Sendung „Mirlhavens ungelöste Geheimnisse“, eine satirische Aufarbeitung der 90er-Jahre-Mystery-Serie „X-Factor“. Der Moderator Graf Zahl … Verzeihung, Crispin Howe (Klemens Koehring) weiht dich hier in die „pikanten Details“ des Mordfalls Mordechai Grey ein. Für die passende Hintergrundstimmung sorgen ein buckliger Baum sowie die dort wohnhafte Krähe.
Demnach war Grey ein zwielichtiger Maler, der das Pech hatte, von einem seiner Portrait-Modelle über die Planke geschickt worden zu sein. Insgesamt sind sechs seiner „Musen“ tatverdächtig, doch bislang konnte der Fall nicht aufgeklärt werden. Das alles verfolgst du über den Überwachungsmonitor einer Kunstgalerie, bei der du als Nachtwächter angestellt bist. Was die Frage aufwirft, was dich der Mord an Mordechai Grey überhaupt angeht?
Ganz einfach: Dein Wachobjekt enthält „zufälligerweise“ Portraits der mutmaßlichen Mörder, die per Druck auf einen Infoknopf zum Leben erwachen und vergangene Gespräche zwischen Künstler und Musen zeigen (durch die Augen Mordechais). Warum das so ist, darüber lässt sich nur spekulieren. Es macht jedoch ganz den Anschein, als würde der Geist von Mordechai Grey durch die Exponate spuken, damit der Mord an ihm endlich aufgeklärt wird. Wer die Verdächtigen im Einzelnen sind, entnimmst du dem untenstehenden Spoiler-Kasten.
Eben noch Nachtwächter, jetzt Privatermittler
Dein Job ist es also, aus den lebendigen Bildern (alias Filmszenen) Indizien zu gewinnen und auf deren Basis schließlich den Mörder Greys zu bestimmen. Wer von den sechs Musen der Täter oder die Täterin ist, wird zu Beginn des Spiels per Zufall bestimmt. Allerdings läufst du nicht planlos durch die Galerie und schaust dir aus der First-Person-Perspektive beliebig die qualitativ hochwertigen Filmschnipsel an. Vielmehr führt Murderous Muses dich durchs Spiel, und zwar mittels Aufgaben sowie in der Galerie verstreuter Hinweise.
Im Klartext ist deine Privatermittlung in drei Nächte unterteilt, deren Ende du jeweils selbst bestimmst. Zu Beginn einer Nacht bekommst du von deiner ungehobelten Vorgesetzten Sasha je eine simple Aufgabe aufgebürdet, etwa das Aufhängen frisch gelieferter Bilder. Diese Aufträge sind bei jedem Spieldurchlauf exakt gleich und führen dich in der Galerie umher.
Auf diese Weise stolperst du zwangsläufig auch über Hinweistafeln, die dir verraten, in welcher Reihenfolge du welche Muse zu welchem Thema „verhören“ solltest. Dadurch schaltest du zusätzlich die Polizeiverhöre der mutmaßlichen Killer frei, anhand derer du Informationen zum Tathergang gewinnen kannst.
Dazu ein praktisches Beispiel: Sind auf einer Hinweistafel zu Dominique Serrant die Themen Job (1) und Ehrgeiz (2) aufgeführt, waberst du mit Dominiques Portrait als erstes zu einem Werkschild mit der Aufschrift „Job“ und hängst es darüber auf. Per Druck auf das Schild, das gleichzeitig als Infoknopf fungiert, wird in dem Bilderrahmen dann ein Film zum jeweiligen Thema abgespielt. Per Menüeinstellung lassen sich Filme auch im Vollbild anzeigen. Danach transportierst du das Gemälde zu einem Schild, auf dem „Ehrgeiz“ geschrieben steht und so weiter.
Mordechai is watching you
Insgesamt sind mehr als 700 Filmaufnahmen im Spiel enthalten, die unmöglich binnen eines oder auch zwei Durchläufen abgerufen werden können. Denn der Inhalt der Hinweistafeln variiert bei jedem Durchgang und außerdem ist die Anzahl an möglichen „Verhören“ je Nacht begrenzt. Dafür sorgt der Umstand, dass jedes Portrait über eine bestimmte Anzahl von „Mordechais Augen“ verfügt.
Das sind in die Portraits eingelassene, seltsam lebendige Kugeln, deren Zahl sich mit jedem abgespielten Film um eins reduziert. Sind alle Kugeln aufgebraucht, kannst du – und das finde ich genial – mithilfe einer Werkbank das „leere“ Portrait mit den Augen aus einem anderen Bild wieder auffüllen. Das macht dann Sinn, wenn du eine bestimmte Muse in Verdacht hast und die anderen darüber vernachlässigen willst. Fütterst du eine erschöpfte Leinwand aber nicht mit neuen Kugeln, dann bleibt diese bis zur nächsten Nacht stumm.
An dem Story-Teil hat mir zum einen das anspruchsvolle Writing gefallen. Denn Lilith, Xavier & Co gewinnen mit ihren Aussagen spielend jeden Vagheits-Wettbewerb und lassen so über Detektivköpfen dichten Rauch aufsteigen. Leicht ist Murderous Muses also ganz sicher nicht, zumal obendrein ein Tutorial fehlt und die zuweilen leicht kryptischen Mechaniken in Eigenregie zu erschließen sind. Ich persönlich mag’s, dass Murderous Muses mir als Spieler etwas zutraut, aber ein optionales Tutorial würde den neuen D’Avekki-Krimi sicher zugänglicher machen.
Das andere große Plus war für mich dieser kunstvolle Spagat zwischen mysteriöser Anderswelt-Atmosphäre und trockenem, teils herrlich infantilem Humor, der nie deplatziert wirkte. Stimmung wird in Murderous Muses also großgeschrieben, nur die deutschen Untertitel zum englischen Originalton hauen bisweilen kräftig daneben und sollten dringend nachgebessert werden.
Eine sehr launische Kunstgalerie
Wer die FMV-Spiele der D’Avekki Studios kennt, könnte vielleicht befürchten, dass der dreidimensionalen Ort der Ausstellung eher Beiwerk ist, doch dem ist nicht so. Die etwas kargen Räumlichkeiten wirken zwar detailarm und altbacken. Auch deswegen, weil die übertrieben hohe Tiefenschärfe (die mich stark an meine Kurzsichtigkeit erinnert) die wenigen vorhandenen Texturdetails verschluckt. Aufgrund der schon erwähnten Anderswelt-Atmosphäre und der stolperfreien Technik habe ich mich hier aber so involviert gefühlt, wie selten in einem Videospiel.
Der Grundriss wie auch die einzelnen Räume der Kunstgalerie ändern sich jede Nacht und mit jedem Spieldurchlauf. Ergo können Sashas Aufträge nicht stupide abgearbeitet werden, da auch die Positionen von Hängeplätzen – frei wie belegt – variieren. Welche Bilder und symbolischen Kunstgegenstände (etwa ein riesiges Mordechai-Auge oder eine dumpf läutende Kirchturmglocke) sich konkret in der Ausstellung befinden, bestimmt übrigens abermals der Zufall.
Zusätzlich hat jedes Exponat eine eigene Geschichte, die per Knopfdruck von einer Info-Stimme vorgetragen wird. Langweilig? Ganz im Gegenteil sogar, denn D’Avekki hat merklich Zeit in die Ausarbeitung der vor Mystizismus triefenden Rahmengeschichte investiert. Und zu schmunzeln gibt es hier dann und wann auch etwas, sodass kein Knöpfchen ausgelassen werden sollte.
Aber die Mordechai-Ausstellung hat auch optionale, variierende Rätsel anzubieten, deren Lösung zum Beispiel verschlossene Räume entsperrt. Während meines Tests sah ich mich meist netten Assoziazionsspielchen oder „Memory“-ähnlichen Installationen gegenüber, die mir trotz (oder auch gerade wegen) einiger Undurchsichtigkeiten Spaß gemacht haben.
Fazit: Sherlock Holmes würde diesen Fall lieben
Wer auf der Suche nach frischem Wind im Murder-Mystery-Genre ist, wird von Murderous Muses gut und anspruchsvoll bedient. Denn D’Avekkis surrealer Krimi spielt sich wie ein Sherlock-Holmes-Abenteuer auf Kokain, und damit ganz nach dem Gusto des einstmals schniefenden Meisterdetektivs.
Dennoch verlässt die Story den Boden der Tatsachen nicht komplett, sodass auch diejenigen, die paranormal angehauchten Settings weniger zugetan sind, einen Blick riskieren sollten. Flatternde Bettlaken oder schattenhafte Mordechais sind in der Galerie nämlich nicht anzutreffen – Murderous Muses hält es mit derlei Dingen ähnlich wie die Kult-TV-Serie „Akte X“, mit der es sich in atmosphärischer Hinsicht sogar messen kann.
Ich für meinen Teil bewundere an Murderous Muses – abgesehen von dem optisch aus der Zeit gefallenen Hauptschauplatz – beinahe alles. Das gilt auch für die schauspielerische Leistung der Beteiligten, die ich mir darüber hinaus in „normalen“ Filmausschnitten angeschaut habe. Nicht funktionieren will es für mich dagegen mit dem theoretisch unerschöpflichen Wiederspielwert, obwohl das prozedurale Spieldesign tatsächlich mehrere spielenswerte Durchläufe hergibt.
Die dauern je aber nur zwei bis höchstens drei Stunden, während ich ein anderes D’Avekki-Spiel, The Infectious Madness of Doctor Dekker, mehr als 30 Stunden lang gespielt habe (und gelegentlich auch weiterspielen werde). Mit Murderous Muses werde ich diese Gesamtspielzeit wohl nicht erreichen, da ich „handgemachte“ Spielstunden den zufallsgenerierten einfach vorziehe.
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Murderous Muses
Genial geheimniskrämerisches Deduktionsspiel mit hochwertigen FMV-Szenen und charismatischen Schauspielern. Wer sich nicht durch die bereichsweise veraltete Optik stören lässt, kann hier nicht nur eines der besten D’Avekki-Spiele, sondern auch einen der allerbesten Genre-Vertreter erleben.
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Präsentation
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Story
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Technik
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Gameplay
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Spielspaß